Behinderung, Krankheit und Euthanasie im Nationalsozialismus

Zwangssterilisationen

Georg B. war 1936 Patient der Heil- und Pflegeanstalt Gießen. Bei Patientinnen und Patienten, die entlassen werden sollten (weil es ihnen wieder gut ging), wurde zuvor geprüft, ob sie zwangsweise sterilisiert werden sollten. Dies entschieden zwei Ärzte und ein Jurist in einer Verhandlung vor einem so genannten Erbgesundheitsgericht. Dafür erstellten die Ärzte der Anstalt ein Gutachten über den betreffenden Patienten oder die Patientin, das als Grundlage für die Entscheidung galt. Hier ein Auszug aus der Akte von Georg B.:

Aufnahmebogen:

© Mit freundlicher Genehmigung des LWV-Archivs


Fragen zum Aufnahmebogen:

Überlegt zu zweit: Wie wird die Familie von Georg B. beschrieben? Sucht die Ausdrücke heraus, die euch auffallen. Welchen Eindruck hinterlassen sie bei euch?


Beschluss Erbgesundheitsgericht Gießen

© Mit freundlicher Genehmigung des LWV-Archivs


Fragen zum Beschluss:

  1. Lest die Begründung für die Entscheidung des Erbgesundheitsgerichtes Gießen. Welche Gründe nennt es für die Sterilisation von Georg B.? Haben diese etwas mit der Beschreibung seiner Familie (siehe Dokument "Aufnahmebogen") zu tun?
  2. Stellt euch vor, Georg B. und seine Geschwister hätten diese Begründung gelesen. Wie hätten sie ihre Gefühle wohl beschrieben?
  3. Wie schon der Titel verrät, gingen die Verfasser des Gesetzes davon aus, dass alle im "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" erwähnten Krankheiten und Behinderungen erblich seien. Welche Ängste und Überlegungen könnte das bei der Familie von Georg B. ausgelöst haben?
  4. Denkt noch einmal an den Beginn der Verfolgung von Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen: Was hätten Angehörige an bedrohlichen oder problematischen Einstellungen oder politischen Veränderungen für ihre Angehörigen bemerken können? Schreibt eure Überlegungen auf Kärtchen und hängt sie an eine Pinnwand.


Heute wissen wir, dass etwa 50 Prozent der Menschen, die sterilisiert wurden, die Diagnose "angeborener Schwachsinn" erhielten. Dies bedeutete in der Regel, dass diese Menschen als sozial unangepasst oder missliebig angesehen wurden. Darunter fielen zum Beispiel Menschen, die häufig den Wohnort wechselten, die keiner regelmäßigen Arbeit nachgingen und kinderreiche Familien, die von Sozialhilfe lebten. Das bedeutet, de facto spielten das soziale Umfeld und das Verhalten der Menschen eine sehr große Rolle für die Entscheidung, ob sie unfruchtbar gemacht wurden.