Behinderung, Krankheit und Euthanasie im Nationalsozialismus

Aussagen der Tatbeteiligten der Jahre 1942-1945 im zweiten Hadamar-Prozess 1947

Angeklagte K. (Krankenschwester):

"Nach Kriegausbruch erhielt ich durch den Polizeipräsidenten in Berlin einen Bereitstellungsschein, ich sollte mich für einen Einsatz, der u. U. einige Wochen dauern könne, bereithalten. Im Dezember 1939 folgte dann die Aufforderung, mich am 04. Januar 1940 im Columbushaus zu melden. (…) Wir wurden von einer Frau A. und Herrn H. empfangen, dann eröffnete uns Herr Blankenburg (…), welche Aufgabe uns erwartete. Er stellte uns vor die Tatsache, daß wir zur Durchführung einer Euthanasieaktion einberufen seien. Es wurde dabei vorgestellt, daß wir als erfahrene Pfleger aus den Heil- und Pflegeanstalten die Krankheitsbilder ja genau kennten und beurteilen könnten, daß es für die Schwerstkranken eine Erlösung sei, wenn man ihr Leben vorzeitig beende. Wir wurden dann gefragt, ob wir mitarbeiten wollten und nach einer Viertelstunde Bedenkzeit vereidigt, und unter Androhung schwerster Strafen zur Verschwiegenheit verpflichtet. Herr Blankenburg hatte uns vorher gesagt, Hitler habe ein Gesetz ausgearbeitet, das bereits fertig vorliegt, es werde allerdings mit Rücksicht auf den Krieg zunächst nicht veröffentlicht werden; deshalb sei die Geheimhaltung notwendig.
(…) daß ich des Mordes angeklagt werde, bitte ich das Gericht um Gerechtigkeit! Man kann mich unmöglich verantwortlich machen, für diese Gesetze des Dritten Reiches, daß dessen Bestimmungen nicht vollkommen waren, ist schließlich nicht Sache einer Schwester. Vor der Schwester am Krankenbett steht der Arzt. Ob er ein Brustwickel, Einlauf, Herztropfen oder Schlafmittel verordnet. In diesem Falle den Gnadentod. Ich habe den Gnadentod nicht als Mord betrachtet. Und bilde mir ein, daß wirklich nur der, wer Mitleid hat und mitleiden kann dieses versteht. (…) Ich möchte hiermit darauf hinweisen auf die schwere Verantwortung. Infektion und schwer Geisteskranke zu pflegen (sic!). Dazu kommt, daß auf meine Station nur hoffnungslose Fälle kamen. Ich bitte, dieses alles zu berücksichtigen." (22)

Quelle:
22: Steppe, Hilfe: „Mit Tränen in den Augen zogen wir dann die Spritzen auf …“, in: Steppe, Hilde (Hg.): Krankenpflege im Nationalsozialismus, 6. Aufl., Frankfurt am Main 1991, S. 135 f.