Otto Perl (1882-1951)

Otto Perl wurde am 19.10.1882 in dem kleinen Dorf Wildenhain im Kreis Torgau in Sachsen geboren. Als Otto Perl im Alter von 13 Jahren an einer Gelenkentzündung erkrankte, die zur vollständigen Versteifung seiner Gelenke führte, übernahm seine Mutter seine Betreuung. Nach ihrem Tod verkaufte Otto Perls Vater seine Landwirtschaft um die Zuschüsse für die Heimunterbringung seines Sohnes finanzieren zu können.

Otto Perl verbrachte den Großteil seines Lebens in verschiedenen Einrichtungen der Armenfürsorge. Er nahm seine Erfahrungen zum Anlass, die Verhältnisse in den Anstalten zu beschreiben und der Kritik zu unterziehen. Er prangerte das Prinzip der Heimfürsorge an, dass die bloße Verwahrung von Menschen mit Körperbehinderungen nach den gesetzlichen Regelungen der sogenannten „Krüppelfürsorge“ vorsah, ohne ihnen Möglichkeiten der Schul- und Berufsausbildung bereitzustellen. Neben weiteren Aufsätzen legte Otto Perl die erste zusammenhängende historische Theorie über die Stellung der Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft seiner Zeit aus der Sicht eines Menschen mit Körperbehinderung vor. Es gelang ihm, "sich immer wieder aus unzumutbarer und erniedrigender Umgebung zu befreien und sich Lebensumstände zu schaffen, die ihm ein seinem Zustand angemessenes menschenwürdiges Leben ermöglichen." Trotz seiner schweren körperlichen Behinderung bildete sich Otto Perl selbst weiter und gab sein Wissen an Kinder und Jugendliche innerhalb der Anstalten weiter. Besonders engagierte sich Otto für das Aufwachsen körperbehinderter Kinder außerhalb von Anstalten, für die gemeinsame Erziehung und Beschulung behinderter und nichtbehinderter Kinder und für das Konzept der Selbsthilfe.

Mit Hilfe des Gymnasialdirektors Dr. Hermann Rassow legte der 37-jährige Otto Perl 1918 als Externer sein Examen zur Erlangung des Abiturs ab. Mit der finanziellen Unterstützung von Rassow und mit einem Helfer, der ihn begleitete, war es Otto Perl möglich, 1922 ein Studium an der philosophischen Fakultät der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität zu beginnen. Da er aufgrund seiner Behinderung nicht sitzen konnte folgte er stehend, an einen Pfeiler gelehnt, Vorlesungen über Philosophie und Volkswirtschaft.

Später widmete er sich neben der Arbeit an seiner Publikation dem Aufbau des bayrischen Landesverbandes des Selbsthilfebundes der Körperbehinderten und hielt Vorträge über fürsorgerische Probleme. Bereits aus dieser Zeit berichtete Otto Perl von Bespitzelungen und Übergriffen von Anhängern und Anhängerinnen der nationalsozialistischen Partei, die sich auch unter den Leitern und dem Pflegepersonal der Anstalt befanden.

Otto Perl zählte zum engen Kreis der Mitbegründer und Mitbegründerinnen des 1919 in Berlin initiierten "Selbsthilfebundes der Körperbehinderten", des historisch ersten Zusammenschlusses körperbehinderter Menschen, der deren Gleichstellung innerhalb der Gesellschaft anstrebte. In der erklärten Absicht, "keine Mauer um die Krüppel [zu] bauen, sondern eine lebendige Wechselbeziehung zwischen Gesunden und Leidenden zu schaffen", war der Bund von Anfang an auch für nichtbehinderte Mitglieder offen. Doch nicht nur das Personal der Anstalten, auch Menschen im Fürsorgesystem versuchten die Entwicklung und Arbeit des "Selbsthilfebundes" zu untergraben. Otto Perl schreibt dazu: „In der Nazifürsorge war es geradezu lebensgefährlich für den Schwerbehinderten, sich auf den Rechtsstandpunkt in fürsorgerischen Dingen zu stellen. Denn die Henker Hitlers waren mit ihren 'Todeslisten' sehr eifrig am Werke. Mancher aus meiner Umgebung musste den Weg zur Giftspritze gehen." Es handelt sich um einen von sehr wenigen vorliegenden Hinweise eines körperbehinderten Menschen, der von der Teilhabe der Fürsorgeanstalten am nationalsozialistischen Regime spricht, der unter den Körperbehinderten auch Anhänger des Nationalsozialismus ausmacht und die Euthanasie in den Anstalten direkt erwähnt.

Otto Perl wurde im Jahr 1934 gegen seinen Willen in das Pflegeheim der Pfeifferschen Stiftungen in Magdeburg-Cracau verlegt. Über sein Leben dort bis hin zur Zerstörung der Anstalt durch Luftangriffe Ende 1943 ist nichts bekannt.

Otto Perl forderte vehement das Recht körperbehinderter Menschen auf Selbstbestimmung und auf Möglichkeiten der schulischen und beruflichen Bildung, er grenzte jedoch dieses Recht auf den "geistig normalen Gehbehinderten" im Gegensatz zum "geistig anormalen" ein und begrüßte die erbbiologischen Maßnahmen des nationalsozialistischen Regimes. Auch er beteiligte sich damit an der Hierarchisierung behinderter Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen, bzw. zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen.

Otto Perl lebte nach der Zerstörung des Pflegeheims in Magdeburg, bevor er in das Kaiser-Friedrich-Siechenhaus in Wittenberg aufgenommen wurde, wo er  am 17. Oktober 1951 starb.

Quellen:
Petra Fuchs: Otto Perl (1882-1951). Das Recht auf Selbstbestimmung für "den geistig normalen Krüppel". Abrufbar auf der Website "bidok"

Krüppeltum und Gesellschaft im Wandel der Zeit. Mit e. Vorwort v. Dr. Hermann Rassow, Gotha 1926 (Nachdruck in: Heiden, H.-G. - Simon, G. - Wilken, U.: Otto Perl und die Entwicklung von Selbstbestimmung und Selbstkontrolle in der Körperbehinderten-Selbsthilfe-Bewegung. Eigenverlag des Bundesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter e. V. 74238 Krautheim/Jagst 1993)