Heterogenität und Inklusion – Binnendifferenzierung und Individualisierung

Birgit Wenzel

In eine Geschichtsstunde im Jahr 2010 hineingeschaut

In einem Klassenraum einer Berliner Hauptschulklasse sitzen 20 (von 23) Schülerinnen und Schüler, das Fach Geschichte steht auf dem Plan.
Die Schülerschaft setzt sich international zusammen, die Jugendlichen selbst bzw. ihre Eltern kommen aus Bosnien (2 Schüler/innen), Deutschland (2), Gambia (1), Ghana (1), Guinea (1), Indien (2), Kenia (2), Lettland (1), Libanon (1), Mazedonien (1), Nigeria (1), Polen (1), Russland (1), Serbien (2), Simbabwe (1) und der Türkei (3). Nur fünf der Lernenden mit Migrationshintergrund gehören der sogenannten zweiten Generation an und sind in Deutschland geboren; die anderen sind als Kinder oder Jugendliche immigriert.
Für einen kurzen Zeitraum der Stunde sind viele aus der Gruppe aktiv und engagiert dabei: Die Lernenden überlegen, was einen „Viel/völker/staat“ ausmacht. Trotz des „Aufblitzens“ von reger Unterrichtsbeteiligung zu dieser Frage blieben einige Lernende während der gesamten Stunde völlig passiv. Hierfür gab es sicher verschiedene und individuelle Ursachen, zu ihnen zählen jedenfalls auch mangelndes Sprachverständnis und Überforderung. Binnendifferenzierende und individualisierende Lern- und Arbeitsangebote wären hier zusätzlich notwendig gewesen, um tatsächlich alle aktiv in den Unterrichtsprozess zu integrieren.
Eine typische Situation oder eher eine spezifische Ausnahme?
Die hier vorgestellte Zusammensetzung einer Klasse entspricht (fast) einer üblichen für eine Großstadt (hier eine Berliner Hauptschulklasse im Bezirk Wilmersdorf, nicht etwa in Berlin-Neukölln).

Was ist verallgemeinerbar?

Neben sicher auch spezifischen Aspekten erscheinen mir folgende zwei als verallgemeinern bar und relevant:
Zum einen: Lerngruppen sind heute heterogen zusammengesetzt. Diese Heterogenität fällt – je nach Region und Schulart – unterschiedlich aus. Die Unterschiedlichkeit und Vielfalt der Lernenden muss Berücksichtigung finden und mit Heterogenität (bedingt durch Geschlecht, Kultur, Begabung, sozialen Hintergrund, durch Religion, Sprache, Förderschwerpunkt, Be-hinderung ...) sollte individuell und kreativ, vor allem aber differenzierend und individualisierend, umgegangen werden.
Zum anderen: Geschichtsunterricht bietet viele Möglichkeiten des Lebenswelt- wie auch des Gegenwartsbezugs. Vielfalt und Heterogenität z.B. sind Kennzeichen moderner Gesellschaf-ten, aber auch solcher in der Geschichte. Insbesondere durch Migration bedingt, zeigen auch Kulturen in der Vergangenheit große Verschiedenartigkeiten auf. Wie sind die Menschen dieser Kulturen damit umgegangen? Wie gehen heute unterschiedliche Gesellschaften mit Heterogenität um? Die Vielfalt der Perspektiven und Deutungen können im Geschichtsunterricht thematisiert und genutzt werden, damit Lernende sich einlassen und letztlich auch Bezüge zwischen Geschichte und (ihrer) Gegenwart erkennen.

Ziele des Beitrags

Die Heterogenität von Lerngruppen macht ein wesentliches Element, ja den „Normalfall“  heutigen Unterrichts in der Bundesrepublik aus (1). Dass Unterricht Formen der Differenzie-rung und der Individualisierung finden muss, um sowohl den Mehrheiten, wie auch den Min-derheiten in den Lerngruppen gerecht zu werden, ist mindestens im Wissenschaftsdiskurs unbestritten. Dieser Beitrag will auch den Begriff und die Bedeutung der Inklusion vorstellen und Anstoß und Anregungen geben, sich auf die Heterogenität der Lerngruppen in der Pla-nung des Geschichtsunterrichts durch Binnendifferenzierung einzustellen. Dabei stellt die Inklusion den Oberbegriff und eine Fakten schaffende, politisch getroffene Entscheidungs-grundlage dar und die Binnendifferenzierung eine unterrichtswirksame, planerische Antwort auf Inklusion und Heterogenität.
Es wird sich zeigen, dass Begriff und Konzept der Inklusion so übergreifend zu verstehen sind, dass hierin die gesamte Vielfalt aller Lernenden bedacht und berücksichtigt werden muss und dass eine Unterscheidung in eine „allgemeine“ Heterogenität und eine weitere oder „andere“, verschiedene Förderschwerpunkte einbeziehende, obsolet wird.
Wenn der Artikel dennoch unterscheidende Ausführungen und Schwerpunkte beibehält, ist dies vor allem der Tatsache geschuldet, dass die Unterrichtswirklichkeit in Deutschland (noch) nicht in der notwendigen Konsequenz der Konzeption der Inklusion entspricht. Leh-rende können, insbesondere wenn sie sich im Fachunterricht Geschichte, der eher in der ge-samten Gruppe erteilt wird und oft ohne zusätzliche personelle Unterstützung auskommen muss, berechtigt systematische und fachspezifische Hilfestellungen erwarten, die hier gege-ben werden sollen.

Heterogenität als Herausforderungen für den (Fach-) Unterricht

Gibt man bei einer beliebten Suchmaschine im Internet die Suchbegriffe Heterogenität, Schule und Unterricht ein, so kommt man auf rund 121.000 Einträge. Binnendifferenzierung und Unterricht ergeben noch etwa 82.000 Einträge. Unterrichtende Lehrer/innen, die sich auf die je vorgefundene Vielfältigkeit einlassen müssen und die mit ihrer Unterrichtsplanung darauf eingehen wollen, sehen sich mit vordergründig divergenten Zielstellungen konfrontiert:
Einerseits sollen alle Lernenden möglichst individuell gefördert werden und andererseits sollen und wollen Lehrende dazu beitragen, dass eine Lerngruppe gebildet wird, dass soziales Lernen eingeübt, gemeinsam an der Sache gearbeitet wird und bestimmte Standards von möglichst allen erreicht werden. Mit den Anforderungen, auf Heterogenität binnendifferenzierend zu reagieren und dennoch leistungsbezogen benoten zu müssen, steigt das Anforderungspotential an die einzelne Lehrerin, den einzelnen Lehrer, zusätzlich.

Binnendifferenzierung – warum?

Binnendifferenzierung und individuelle Förderungen werden im aktuellen Diskurs auch als Reaktion auf die schlechten Ergebnisse internationaler Schulleistungsvergleiche und –studien vehement eingefordert, jedoch ohne, dass darauf politisch einhellig und konsequent mit entsprechenden Mitteln und Ressourcenerweiterungen reagiert würde. Auch die in Grundschulen zum Teil schon länger und mit Erfolg betriebenen Maßnahmen und Leistungen in den Bereichen der Individualisierung und der Binnendifferenzierung, besonders auch im integrativen Unterricht, machen „Druck“ auf die Oberschulen (2).

Lehrerhaltungen – empirische Ergebnisse

Angesichts des großen, hier nur angerissenen Problemfelds verwundert es nicht, dass laut einer quantitativen und qualitativen Studie zu Positionen von Lehrerinnen und Lehrern zur individuellen Förderung in der Sekundarstufe I (2006 und 2007) die Befragten Förderung durch Binnendifferenzierung zwar als wichtiges und anzustrebendes Ziel, zugleich aber auch als belastende Herausforderung ansehen und bewerten (3). Gründe dafür, dass in der Praxis nur zögerlich Lehr- und Lernbedingungen umgesetzt werden, die eine individuelle Förderung ermöglichen, wird von den Befragten vor allem in den strukturellen Gegebenheiten (Klassen-größe, Ausstattung etc.) identifiziert. Aber auch die Erfahrungen – so die Wahrnehmungen der Lehrerinnen und Lehrer – dass Lernende nicht „gegen“ ihren Willen gefördert werden können und dass eine angemessene Fortbildung benötigt wird, tragen laut Studienergebnis zu Grundhaltungen und zum Gelingen/Nichtgelingen von individueller Förderung bei.
Zu Recht fühlen sich viele Lehrer/innen mit der vorgefundenen Heterogenität überfordert, sollen sie doch häufig allein große Klassen unterrichten und den vielfältigsten Ansprüchen gerecht werden.
Das Fazit der oben erwähnten Studie: Grundlegend für gelingende individuelle Förderung ist eine Haltung, die Respekt und Vertrauen dem Einzelnen gegenüber beinhaltet sowie der Glaube an seine Stärken und (positiven) Leistungserwartungen (4). Zu einer solchen Grund-haltung kann die Planung als wichtiges Mittel und Instrument hinzukommen, ersetzen kann sie sie nicht.

Inklusion als Herausforderung für den (Fach-) Unterricht

Inhalt und Ziele von Inklusion

Die Entscheidung für die Inklusion, die in der Bundesrepublik getroffen worden ist, stellt mehr als eine „kleine Veränderung“ oder Weiterentwicklung dar, sie bedeutet einen Paradig-menwechsel.

Zur Genese

Bereits im Juni 1994 fand in Salamanca, Spanien, die UNESCO- Weltkonferenz „Pädagogik für besondere Bedürfnisse: Zugang und Qualität“ statt. Die „Inklusion“ wurde aus der Taufe gehoben. 15 Jahre später, im Oktober 2009, tagte eine Konferenz am gleichen Ort unter dem Motto „Return to Salamanca: Confronting the Gap: Rights, Rhetoric, Reality?“. Der internationale Austausch von Fachleuten konnte einmal mehr Bemühungen für die Inklusion vor allem von Menschen mit geistiger Behinderung („intellectual disability“) feststellen, musste aber auch auf die begrenzten Fortschritte im Blick auf die Umsetzung in allen praktischen Belangen verweisen (5). Auch beim 15. Weltkongress von Inclusion International im Juni 2010 in Berlin, er stand unter dem Motto „Inklusion – Rechte werden Wirklichkeit“, ging es schwerpunktmäßig um die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in nationales Recht (von 2006, vor allem von Artikel 24 über Bildungsfragen) (6).

Beschluss der Bundesregierung

Für Deutschland gilt, was die Bundesregierung am 26. März 2009 beschlossen hat und was als Pressemitteilung von Karin Evers-Meyer, Beauftragte der Bundesregierung für die Belan-ge behinderter Menschen in Berlin, online nachzulesen ist: „Die Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist heute in Deutschland in Kraft getreten. Für Politik, Verwaltung und für die Gerichte sind die Vorgaben dieser Konvention seit heute verbindliches Recht.“(7) Von der Exklusion (Ausschluss von einer Beschulung) über die Segregation/Separation (Sonderbeschulung) bis zur Integration (in das Regelschulsystem) sind wir nunmehr auch in Deutschland bei der Inklusion (als differenzierte Beschulung für alle) – zumindest im Denken, wenn auch noch lange nicht im konsequenten Handeln – angekommen.

Inklusion – mehr als Integration

Inklusion versteht alle Schülerinnen und Schüler als unterschiedlich und als Menschen mit besonderen Bedürfnissen, auf die Pädagogik, Schule und Unterricht reagieren müssen. Hier steht die gesamte Klasse und nicht mehr einzelne behinderte Schüler/innen im Fokus. Wäh-rend die skandinavischen Länder und auch der englischsprachige Raum schon länger erfolg-reiche Praxiserprobungen aufweisen, stehen im deutschen Schulsystem einer wirklich effektiven individuellen Förderung noch viele Barrieren im Wege (8). Dennoch verweist einiges auf ein verändertes Bewusstsein. Behinderungen werden nicht (mehr) als unveränderbare Tatsachen oder festgeschriebene Defekte gesehen, sondern als „eine durch soziales Handeln und Erleben veränderliche Bedingung des Menschseins.“(9) Streng genommen wird mit dem systemischen Ansatz der Inklusion eine Aufhebung der Unterscheidung in behinderte und nichtbehinderte Lernende oder zwischen Förderschwerpunkten und „anderen“ heterogenen Voraussetzungen fällig und notwendig. Im Einzelnen machen den neuen Ansatz folgende Elemente aus (10): Die gesamte Lerngruppe (statt einzelne behinderte Lernende) steht mit allen personellen und materiellen Bedingungen und Beziehungen im Fokus der Betrachtung. „Die inklusive Schule braucht keine Förderpläne für einzelne Schüler in der Klasse, sondern Strategien und Handlungskompetenzen der Lehrpersonen für die ganze Klasse mit all ihren Indi-vidualitäten.“(11) Nicht das Kind wird in die passende Institution eingegliedert, sondern Ausstattung und Lernumgebung in der Regelklasse werden so angepasst, dass alle Kinder die notwendige individuelle Unterstützung erhalten.
Es ist offensichtlich, dass eine so umgesetzte Inklusion ganz andere Ressourcen benötigt, als sie unsere Schulen bisher in aller Regel zur Verfügung stellen können. Den politischen Aus-sagen und Beschlüssen müssen die notwendigen Maßnahmen folgen, die nicht „kostenneut-ral“ zu regeln sein werden.

Förderschwerpunkte im inklusiven (Geschichts-) Unterricht

Inklusiver (Geschichts-) Unterricht will gerade auch für Lernende mit Behinderungen inner-halb des allgemeinen Bildungssystems eine erfolgreiche Bildung erreichen und dabei die notwendigen individuellen Unterstützungen geben (12). Das fordert nicht zuletzt auch die Fachdidaktiken heraus, sich den Bedingungen und vor allem den Voraussetzungen der Kinder und Jugendlichen zu stellen. Hierfür wird es auch relevant, sich mit den konkreten Förderschwerpunkten der inklusiv beschulten Kinder und Jugendlichen zu befassen und in Erfahrung zu bringen, welche Lernschwächen, aber auch welche Stärken die jeweiligen Schüler/innen in einer Gruppe aufweisen (13).

Förderschwerpunkte

In Deutschland unterscheidet die KMK (14) in die Förderschwerpunkte „Lernen“, „Sehen“, „Hören“, „Sprache“, „Körperliche und motorische Entwicklung“, „Geistige Entwicklung“, „Emotionale und soziale Entwicklung“ (und „Förderschwerpunkt übergreifend bzw. ohne Zuordnung“). Dabei ist der Anteil des festgestellten Förderbedarfs seit 1998 gewachsen (von 4,4% auf 5,8 % aller Lernenden in 2006).
2006 gab es in Deutschland insgesamt 484.346 Schülerinnen und Schüler mit sonderpädago-gischem Förderbedarf. Die größte Gruppe wurde dabei durch den Förderschwerpunkt Lernen gebildet (224.900, das entspricht 46,4%). Die in der Größe folgenden Gruppen waren Geistige Entwicklung (75.679 oder 15,6%), Sprache (49.822 oder 10,3 %) und Emotionale und soziale Entwicklung (48.217 oder 10,0 %). Diese vier Förderschwerpunkte bilden nicht nur die große Mehrheit, sondern auch spezielle Anforderungen an Lehrer/innen und deren Unterrichtsplanung, insbesondere in einer inklusiven Unterrichtssituation (15):

  • Der Förderschwerpunkt Lernen umfasst Kinder und Jugendliche, die in ihrem Lern- Leistungsverhalten erhebliche und lang andauernde Beeinträchtigungen aufweisen, die häufig gekoppelt sind mit weiteren Beeinträchtigungen, vor allem in den sprachlichen, emotionalen und sozialen Fähigkeiten.
  • Der Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung meint Kinder und Jugendliche, die hochgradige Beeinträchtigungen in ihren intellektuellen Fähigkeiten haben und mit den damit verbundenen Lern- und Entwicklungsstörungen beträchtlich unter den altersgemäßen Entwicklungen liegen.
  • Der Förderschwerpunkt Sprache befasst sich mit Kindern und Jugendlichen, die er-hebliche Sprachbehinderungen aufweisen und hierdurch ihre Fähigkeiten und Anlagen ohne eine gezielte, vor allem kommunikative Förderung nicht angemessen entwickeln können.
  • Der Förderschwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung verweist auf Beeinträchtigungen in eben diesen Bereichen, sie beziehen sich auf das Erleben und das Verhalten. (Die daraus resultierenden Verhaltensauffälligkeiten und –störungen sind größtenteils auf die Erfahrungen und Prägungen in der familiären Sozialisation der Kinder und Jugendlichen zurückzuführen und führen häufig zu Lernstörungen, so dass Kinder mit diesem Förderschwerpunkt häufig zusätzlich den Förderschwerpunkt „Lernen“ aufweisen.)

Die benannten Schwerpunkte haben im Blick auf den Geschichtsunterricht zur Folge, dass eine schnell nachlassende Aufmerksamkeit und Probleme im Abstraktionsvermögen vor al-lem zu überschaubaren, anschauungsreichen und handlungs- und produktionsorientierten Arbeitsphasen führen werden.

Planungshinweise für einen binnendifferenzierenden (Geschichts-) Unterricht und individuelle Förderung als eine Antwort auf heterogene Lernvoraussetzungen

Ein Blick in die allgemeindidaktische Literatur

An Literatur für Binnendifferenzierung und Individualisierung des Unterrichts, deren Vor-schläge auch in diesen Artikel einfließen, mangelt es nicht. Mit unterschiedlichsten und viel-fältigen Ansätzen wird für die Differenziertheit des Unterrichts argumentiert, eben weil die Lernenden selbst, wie auch ihre Lernprozesse, von großer Varianz geprägt sind. Bönsch nennt mindestens sieben Kriterien, in denen es große Unterschiedlichkeiten bei den Lernenden gibt (16): Die Auffassungsgabe, das Lerntempo, die Lernkapazität (also die Lerninhaltsmenge, die bei Überforderung zu Lernblockaden führen kann), das Anspruchsniveau (das sich vor allem auf die Wege des Lernens auswirken sollte), das Sprach- und Sprechniveau (eng mit dem Anspruchsniveau zusammenhängend), die Motiviertheit (als Gestimmtheit zum Lernen) und schließlich die Selbstorganisation und Selbststeuerung (als Fähigkeit, die eigene Lernarbeit zu organisieren und zu verantworten).
Liane Paradies unterscheidet drei Grundformen der inneren Differenzierung, den individuali-sierten Unterricht (als Interessen- und Wahldifferenzierung), den kooperativen Unterricht (als schulorganisatorische Differenzierung) und den gemeinsamen Unterricht (als didaktische Differenzierung) (17). Binnendifferenzierung ist (ansatzweise) auch im gemeinsamen Unterricht möglich, besser und effektiver sowie gezielter jedoch in kooperativen Lernformen (Gruppen- und Partnerarbeit) sowie in individualisierenden Lernphasen.

Anregungen für den Geschichtsunterricht?

Entgegen der breiten Literaturgrundlage innerhalb der Pädagogik liegen jedoch bisher nur wenige konkrete Überlegungen für den Geschichtsunterricht vor. Ertragreich sind jedoch die Ausführungen Peter Adamskis zur inneren Differenzierung im Geschichtsunterricht (18) so-wie weitere Aufsätze des Heftes „Differenzierung“ der Zeitschrift Geschichte Lernen (Nr. 131, 2009). Anhand realer Unterrichtsbeispiele beschäftigen sie sich mit der Förderung von Leseschwächen im Geschichtsunterricht, der Differenzierung in einem längerfristigen Unter-richtsvorhaben, der Lernwerkstatt und den Lernstationen.
Möglichkeiten, (auch) im Geschichtsunterricht zu differenzieren, gibt es sehr viele, wie ein Überblick in einer Map veranschaulicht (19). Für welche Möglichkeiten man sich (am besten gemeinsam mit der Lerngruppe) entscheidet und wie man sie untereinander kombiniert, hängt zu allererst von den Lernvoraussetzungen auf der einen Seite und den Unterrichts-inhalten und –zielen auf der anderen ab. Aber auch andere Faktoren, wie persönlichkeitsspezifische, örtliche, räumliche, personelle (zusätzliche Unterstützung) oder schulorganisatorische müssen mit bedacht werden. Wünschenswert im Sinne einer erfolgreichen Binnendifferenzierung ist, dass eine stimmige Passung der Faktoren vorgenommen wird, Lehrende und Lernende aber auch gemeinsam viel Mut zum Ausprobieren aufbringen.

Planungshinweise für einen inklusiven Geschichtsunterricht unter der besonderen Berücksichtigung von Lernenden mit Förderschwerpunkten

Im Folgenden werden wesentliche Planungselemente, die sowohl für einen zielgleichen, wie auch für einen zieldifferenten (20) Unterricht anwendbar sein können, in Form von Thesen und ihren Begründungen vorgestellt (21). Im Anschluss werden sie als Überblick zusammenfassend und durch weitere Faktoren ergänzt in Form einer Tabelle gebündelt. Im Blick sind dabei vor allem Kinder und Jugendliche mit den Förderschwerpunkten Lernen (sie bilden laut KMK die jeweils größte Gruppe der Lernenden mit einem Förderschwerpunkt, sowohl in den Förder- wie in den allgemeinbildenden Schulen), und Emotionale und soziale Entwick-lung (die zweitgrößte Gruppe mit einem Förderschwerpunkt in den allgemeinbildenden Schulen). Aber auch für andere individuelle Voraussetzungen, die sich z.B. durch eine einge-schränkte Fähigkeit ausdrücken, mit der (deutschen) Sprache umzugehen, bilden die Hinweise sinnvolle Anregungen und insofern Unterstützung für heterogene Lernsituationen.

Besondere Herausforderungen des Faches Geschichte

Sie liegen sicher vor allem darin, dass Lernende hier mit „Fremdheit“ in mehrfacher Hinsicht umgehen müssen; sie haben es mit Alterität im Blick auf die Zeit und häufig auch im Blick auf den Ort, den Raum, zu tun.
Ziel des konkreten (Geschichts-) Unterrichts kann es nicht sein, alle vorgestellten Überlegungen und Anregungen gleichsam in jeder Stunde umzusetzen, wohl aber alle Punkte ausge-wählt und gezielt in die eigene Unterrichtsplanung einzubeziehen. Die anschließend vorge-stellten Maßnahmen stellen Schwerpunkte vor und müssen in der konkreten Planung, ange-passt an die spezifischen Bedingungen, ausgewählt werden. Die Hinweise bewegen sich auch hier auf verschiedenen Ebenen der Unterrichtsplanung und berücksichtigen allgemein- wie fachdidaktische Elemente.

A) Zielgruppenbeteiligung suchen

Inklusiver Geschichtsunterricht sollte nicht nur für, sondern mit den Zielgruppen gestaltet werden.
Zu allererst scheint es mir wichtig zu sein, soweit möglich, diejenigen, für die die Planungsarbeit gemacht wird, als Expertinnen und Experten für sich selbst wahr- und ernst zu nehmen. Das bedeutet, die Zielgruppen der Planung aktiv mit einzubeziehen, mit ihnen über ihre Erfahrungen, Bedürfnisse, aber auch besonderen Schwierigkeiten zu reden und sie als Partner/innen, auch für die Planung, zu gewinnen. Wenn Ge-schichtsunterricht der Orientierung in der Zeit dienen soll, so müssen Lernende auch Experten und Expertinnen ihrer individuellen Orientierungsbedürfnisse werden, ihre eigenen Fragen und Interessen entwickeln und einbringen. „Betroffene“ wissen häufig selbst, was ihnen gut tut, wann und wie sie Lernerfolge finden können. Hierzu gehört es auch, den Lernenden Feedbackmöglichkeiten zu geben und mit ihnen gemeinsam Unterrichtsprozesse und Lerninhalte auszuwerten, um die Erkenntnisse für die weitere Planung zu nutzen.

B) Anschaulichkeit und Handlungsorientierung als Grundprinzipien beachten

Inklusiver Geschichtsunterricht braucht besonders viel Anschauungsmaterial sowie aktive Handlungsmöglichkeiten, um Vorstellungen von der Geschichte zu entwickeln und Begegnungen zwischen der Geschichte und ihren Menschen und dem lernenden Subjekt zu ermöglichen.
Möglichst konkrete und sinnliche Erfahrungen sind für alle Lernenden hilfreich, wenn es darum geht, neues Wissen zu erwerben und es zu integrieren. Für Lernende mit Lernproblemen ist es besonders relevant, Unterrichtsstoff zunächst sprichwörtlich in ihren optischen (Verwendung von Bildmaterial!) und dann auch in ihren Erfahrungshorizont zu bringen. Gerade Themen und Probleme in und aus der Vergangenheit können in ihrer Fremdheit nicht nur auf einer abstrakten Ebene gedacht und verstanden werden. Wer sich ein Bild machen kann, wer eine Handlung vollzieht, eine Erfahrung macht, kann eine Beziehung knüpfen, kann die Bilder und Erfahrungen integrieren (und kann auch etwas berichten, vgl. C!). Wer etwas berichtet, denkt gleichzeitig darüber nach und hat die Chance, das Entdeckte durch die Kombination von Handlung und Versprachlichung zu integrieren. Auswendig zu lernen fällt Schülerinnen und Schülern mit Lernproblemen ohnehin schwer und das „Gepaukte“, aber nicht „Begriffene“ wird sich nicht in die semantische Netzstruktur einfügen, sondern als träges Wissen fast unmittelbar verloren gehen. Hieraus ergibt sich auch die folgende These.

C) Selbstständiges Narrativieren und Erzählen von Geschichte ermöglichen

Inklusiver Geschichtsunterricht braucht unmittelbare Gelegenheiten für das Erzählen von Geschichte und das Versprachlichen von Gedanken durch die Lernenden.
Anschauungen und Erfahrungen müssen möglichst unmittelbar mit eigenen Worten wiedergegeben werden. Lernende brauchen die Chance, das, was sie gesehen, erfah-ren, wahrgenommen und gedacht haben, mit eigenen Worten zu erzählen. Mit eigen-ständigen narrativen Deutungen bringen sie zum Ausdruck, was sie über Geschichte wissen und denken und wie sie das Gelernte für sich und ihre Gegenwart verarbeiten. Erst mit einer Versprachlichung wird Sinnbildung nachhaltig betrieben. Damit kann eine Begriffsbildung einhergehen, die mit einer für das Individuum überschaubaren und handhabbaren Anzahl von Fachbegriffen arbeitet. Es kann und soll im inklusiven Geschichtsunterricht nicht um ein bestimmtes und schon gar nicht für alle gleiches Quantum an abrufbarem Wissen gehen, wohl aber um Deutung und Sinnbildung.

D) Geschichtsbewusstsein durch Lebenswelt- und Gegenwartsbezüge berücksichtigen

Auch und besonders inklusiver Geschichtsunterricht verhilft Lernenden zu einer Orientierung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, will Sinnbildung initiieren und damit das Geschichtsbewusstsein der Lernenden fördern.
Hierfür ist besonders in der Themenformulierung und in der Aufbereitung der Lernin-halte auf Lebenswelt- wie auf Gegenwartsbezüge zu achten, denn wenn es solche An-knüpfungspunkte gibt, kann Geschichte unmittelbar bedeutsam werden (vgl. das Bei-spiel vom Beginn). Wie ist es zu heutigen Bedingungen und Problemen gekommen? Warum feiern wir bestimmte Anlässe? Wie sind Zusammenhänge aus dem Umfeld, der Region, zu verstehen? Solche Fragen können das Interesse für die Prozesse des Gewordenseins wecken. Auch das Anknüpfen z.B. an grundlegende Erfahrungen, die Lernende mitbringen, kann eine „Tür“ zur Geschichte bilden. Hierzu zählen z.B. Erlebnisse und Erfahrungen von Macht und Ohnmacht, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Erfolg und Misserfolg, Benachteiligung oder Teilnahme, Glück und Unglück usw. Wenn hier auch der Gefahr zu begegnen ist, dass unzulässige Analogien zu historischen Situationen vermieden werden müssen, so sollten lebensweltliche Bezüge dennoch mit ihrem Potential ausgelotet und berücksichtigt werden.

E) Medien und Materialien bewusst auswählen

Inklusiver Geschichtsunterricht braucht eine gezielte Auswahl von Medien, die helfen, Lernprobleme zu mindern.
Lerninhalte zur Geschichte sind immer Reisen in (entfernte) Zeiten und Räume. Um sowohl die Geschichte als auch sich selbst in Bezug auf die Geschichte in Raum und Zeit zu verorten, benötigen Lernende Orientierung und wiederum Veranschaulichung. Für alle Lernenden hilfreich und unterstützend, für Lernprobleme jeglicher Art unver-zichtbar, sind Medien, die diese Orientierung erleichtern.
Ein Zeitstrahl im Klassenraum, der nicht nur Jahreszahlen, Daten und kurze Erklärungen enthält, sondern auch eine Bebilderung, die für Ankerpunkte sorgt sowie einfaches Kartenmaterial, auf das immer wieder Bezug genommen werden kann, sollten ständige Begleiter des Geschichtsunterrichts sein. Die Fragen also „In welcher Zeit sind wir unterwegs?“ und „Wo ereignete sich die Geschichte eigentlich?“ sollten immer durch Anschauungsmaterial zu beantworten sein.
Die Relevanz von Bildmaterial soll hier für eine angemessene Anschaulichkeit noch-mals, vor allem für Lerner/innen mit Lernproblemen, betont werden. Während abs-trakte Zusammenhänge und durch Texte vermitteltes Wissen schwierig zu verstehen und zu integrieren sind, haben Bilder eine größere Chance, aufgenommen und verar-beitet zu werden. Bei den Lernenden sollten auch eigene Bilder im Kopf entstehen können, die abgespeichert werden und durch deren Abruf auch zusätzliche Informationen nutzbar bleiben, die mit den Bildern im Kontext aufgenommen wurden und daran gleichsam „angedockt“ bleiben. Diese abgespeicherten Bilder können zum einen aus Material bestehen, das der Unterricht anbietet. Zum anderen können sie auch aus Vorstellungen erwachsen sein, die die Lernenden z. B. durch Erzählungen, durch Ge-schichten, entwickelt haben.

Verständliche Texte werden für Geschichtsunterricht unverzichtbar bleiben, denn Geschichte vermittelt sich vornehmlich durch schriftliche Erzählungen. Für den inklusiven Geschichtsunterricht wird mit unterschiedlichen Texten zu arbeiten sein, die immer verständlich und für die Gruppen oder Einzelnen angemessen im Blick auf viele Faktoren sein müssen (Sprache, Komplexität, Länge usw). Hervorzuheben sind Bio-graphien und „Geschichten“. Biographien (22) stellen als (schriftliche und mündli-che) Erzählungen gut geeignete und nachvollziehbare Zugänge dar. Sie können, redu-ziert und konzentriert auf menschliche Schicksale, Geschichte in vergleichsweise leicht fassbaren, überschaubaren Zusammenhängen transportieren. Durch die Gegen-überstellung von mindestens zwei unterschiedlichen Biographien kann die Vielfalt der Vergangenheit deutlich werden und unzulässige Zuspitzungen können vermieden werden.
Auch eine Interesse weckende, spannende Erzählstruktur, in „Geschichten“ über die Geschichte, z.B. in Form einer Lehrererzählung, kann die Lernenden motivieren und ansprechen. In einer solchen narrativen Struktur, die einem Plot folgt und an (realen, aber auch fiktiven, jedoch triftig ausgewählten) handelnden Personen und ihren Schicksalen orientiert ist, können Ereignisse und Zeitabläufe wie auch die Prozesshaftigkeit von Geschichte vergleichsweise einfach deutlich werden. Individuelle Geschichten, das gilt für Biographien wie für Geschichtserzählungen, können Typisches verdeutlichen, ohne dass Klischees bedient werden müssen.
Eine besondere Schwierigkeit bildet sicher die Einbeziehung von schriftlichen Quel-len, die in der Regel nur gekürzt und vor allem für das Schülerverständnis „über-setzt“, sinnvolle Verwendung finden können. Hier ist zu einer Nutzung zu raten, wenn die Quelle einem konkreten Ereignis oder einer Person zuzuordnen ist, so dass Verstehen und Vernetzen möglich werden.

F) Wechselnde und den individuellen Belangen angepasste Sozialformen auswählen

Inklusiver Geschichtsunterricht braucht den individuellen Bedingungen angepasste Sozialformen, die individualisierende und kooperative Lernformen, aber auch darin integriert, strukturierende Instruktionsphasen berücksichtigen.
Ein Wechsel der Lern- und Arbeitsformen in einem Lernarrangement sorgt nicht „ein-fach“ nur für Abwechslung, sondern befördert das Lernen gezielt. Bedeutsam ist wei-terhin, dass insbesondere Lernende mit Lern- oder Konzentrationsproblemen mög-lichst viele unmittelbare Lern- und Arbeitssituationen vorfinden, d.h. an das individu-elle Leistungsvermögen angepasste Einzel- und Partnerarbeit sowie Kleingruppenar-beit, die nicht mehr als vier Lernende umfasst. Lehrerzentrierte Phasen können vor al-lem das gezielte Erzählen, Erklären (23) und Strukturieren von Geschichte, das Vor-machen und Anleiten von fachspezifischen Methoden ergänzen.
Darüber hinaus wird sich das Prinzip des Tutoriums für den inklusiven Unterricht als besonders hilfreich und effektiv erweisen. Das Setting sieht vor, dass ein/e leistungs-stärkere/r Schüler/in eine/n leistungsschwächere/n Schüler/in unterstützt/unterrichtet, ohne zu diskriminieren und ohne zu bevormunden. Hierfür gibt es im Einzelnen viele überzeugende theoretische Grundlagen sowie auch positive Konsequenzen, interessanter und wichtiger Weise nicht nur für die zu Unterstützenden, sondern ebenso für die Unterstützer/innen!(24)
Für Gruppen- und Plenumssituationen ist es besonders bedeutungsvoll, dass gute Sicht-, Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeiten herrschen. Die Sitzordnung muss also so angepasst sein, dass sich alle, die miteinander kommunizieren, auch anschauen können und dass die Körpersprache gegenseitig wahrgenommen werden kann.

G) Methoden und Lehr- und Lernwege bevorzugen, die Individualisierung und Binnendifferenzierung besonders befördern und den Unterricht öffnen (Projekte, Wochenplanarbeit, Stationenlernen und Co)

Inklusiver Geschichtsunterricht sollte Lehr- und Lernformen bevorzugen, die den in-dividuellen Rhythmus, die Eigenaktivität und Eigenverantwortlichkeit der Lernenden unterstützen und herausfordern.
Hierzu gehören vor allem Lern- und Arbeitsformen, die den Unterricht öffnen und in-dividualisieren. Wenn nicht alle entgegen ihrer Verschiedenheit gleichzeitig das Gleiche lernen und bearbeiten müssen, öffnen sich Türen für ein individuelles Arbeiten sowie punktuelle Unterstützungsmöglichkeiten für die Lehrkraft. Lernen ist ein individueller Prozess, das bedeutet, dass es unterschiedliche bereichsspezifische Vorkenntnisse gibt, subjektive Begriffe und Theorien bei den Lernenden, unterschiedliche Lerntempi, Lernstrategien und Lernmotivationen. Wenn diese berücksichtigt werden und es Wahlmöglichkeiten der Lernenden gibt, so werden sich Motivation und erfolgreiche Lernergebnisse einstellen. So können beispielsweise in einem Stationenlernen Arbeitstempi selbst bestimmt werden, in der Regel inhaltliche Prämissen durch die Interessen der Lernenden gesetzt werden, unterschiedliche Schwierigkeitsgrade in den Aufgabenstellungen und den Materialien mit überschaubarem Aufwand umgesetzt werden und anderes mehr.
Bei der Öffnung von Unterricht sollten Lehrkräfte versuchen, bewusst außerschulische Kooperationspartner/innen zu gewinnen und deren Kompetenzen und Ressourcen einzubinden.

H) Auf alters- und entwicklungsangemessenes Material achten

Inklusiver Geschichtsunterricht benötigt Material, das Geschichte in einer den Lernenden und ihren individuellen Möglichkeiten angepassten Komplexität und Sprache behandelt.
In der schwierigen Situation, kein angemessenes Unterrichtsmaterial vorzufinden, das den Lernschwierigkeiten der Zielgruppe oder Einzelner gerecht wird, besteht die Gefahr, zu Material zu greifen, das für geschichtsinteressierte, aber „kleine“ Kinder durch Verlage bereitgestellt wird. Hiermit werden eventuell allgemeine Parameter, wie einfache Sprache oder Bebilderung eingelöst. Wenn der Schwierigkeitsgrad und die Quantität der Texte als angemessen erscheinen, wäre ein Problemfeld gelöst. Häufig wird hierdurch jedoch ein anderes „mitgekauft“, diese Materialien sind eben für jüngere Kinder und nicht für Jugendliche verfasst. Ihr Einsatz führt u.U. zu einer nicht angemessenen Ansprache der Lernenden oder zu Bildmaterial, das naive Vorstellungen transportiert. Die Jugendlichen fühlen sich hier zu Recht nicht ernst genommen, so z.B., wenn für den Lerngegenstand Mittelalter in der Klasse 7 oder 8 Material genutzt wird, das für 6-8jährige konzipiert wurde.

Ausblick

So eindeutig notwendig Binnendifferenzierung und Individualisierung für heterogene Gruppen und inklusiven Unterricht sind, so vielgestaltig sind die Wege und Möglichkeiten, sie umzusetzen.
Sicherlich, auch das muss zum Ende diese Artikels gesagt sein, wird die wohlmeinendste und engagierteste Unterrichtsplanung angesichts vieler Begleitumstände nicht alle Herausforde-rungen und Probleme gleichermaßen in den Griff bekommen und schon gar nicht ausgleichen können, was auf der Systemebene versäumt wird. Auch steht fest, dass konsequente Binnendifferenzierung und Individualisierung für Lehrende viel Aufwand und einen hohen Einsatz bedeuten; (dauerhafte) Überforderung tut jedoch niemandem gut.

Chancen von Kooperation nutzen!

Statt als Einzelkämpfer/in unterwegs zu sein, sollten gegenseitige Stärkung und Unterstüt-zung, der Aufbau von Netzwerken, auch mit außerschulischen Partner/innen, aber auch Fort- und Weiterbildung angeboten und genutzt werden.
Trotz des notwendigen Problembewusstseins, Heterogenität nicht als Stör-, sondern als Nor-malfall anzusehen, die Unterschiede zu nutzen und dennoch die Gemeinsamkeiten zu stärken, Defizitansätze zu überwinden durch einen „diversity-Ansatz“, all das kann und will auch Mut machen, sich auf die Herausforderungen einzulassen und Bewährtes, aber auch Neues anzuwenden und auszuprobieren.

Die Grundhaltung bei Lehrenden und Lernenden, das muss immer wieder betont werden, sollte immer am Erfolg orientiert sein. Hierfür will der Artikel Denkanstoß und Wegbereiter sein.

Anmerkungen
1.    Vgl. Jörg Dräger, Individuelle Förderung für ein faires und leistungsstarkes Schulsystem. In: Heterogenität und Bildung, 2009, S. 4.
2.    Vgl. Ingrid Kunze, 2009, S. 15-17.
3.    Ergebnisse sind nachzulesen bei Claudia Solzbacher, 2009, S. 28-41. Grundlage der Studie bilden 51 Interviews mit Lehrkräften in NRW und im Raum Osnabrück sowie 104 ausgefüllte Fragebogen (von Lehrkräften verschiedener Schularten, Raum Osnabrück).
4.    Vgl. Claudia Solzbacher, S. 41.
5.    Die hier verabschiedete Resolution vgl. unter www.dielebenshilfe.at/Salamanca-Konferenz-Resolution.705.0.html
6.    Nachzulesen unter files.institut-fuer-menschenrechte.de/437/Behindertenrechtskonvention.pdf
7.    Vgl. www.bundesregierung.de/Content/DE/Pressemitteilungen/BMG/2009/03/2009-03-26-un-bhindertenrechtskonvention.html
8.    Jürgen Oelkers setzt sich mit den Barrieren auseinander und unterscheidet dabei in die drei Ebenen Schule, Unterricht, Region und Land, vgl. Oelkers 2009, S. 9-35
9.    Ewald Feyerer, 2003, bidok.uibk.ac.at/library/beh1-03-feyerer-bildungsprozesse.html
10.    Vgl. Alfred Sander 2003, Kapitel 3.2
11.    daselbst, S. 129
12.    Gemäß dem Artikel 24 (Bildung) im Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Be-hinderungen, vgl. www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/CRPD_behindertenrechtskonvention/crpd_de.pdf, S. 23f
13.    Hinweise für die einzelnen Förderschwerpunkte und ihre Besonderheiten aus erziehungswissenschaftlicher Sicht vgl. Jutta Schöler 2009 und insbesondere für verhaltensauffällige Kinder in den Aufsätzen bei Ulf Preuss-Lausitz (Hrsg.), 2005.
14.    Alle Zahlen vgl. KMK-Statistik, S. XI-XVI und S. 3.
15.    Vgl. z.B. die Sonderpädagogikverordnung Berlins, 2005, vgl. www.berlin.de/imperia/md/content/sen-bildung/rechtsvorschriften/sopaed_vo.pdf
16.    Vgl. Manfred Bönsch 2009, S. 36-38.
17.    Vgl. Liane Paradies, S. 66f.
18.    Vgl. Peter Adamski, S. 2-13.
19.    Vgl. die Map im gedruckten Aufsatz. Sie zeigt Möglichkeiten der Binnendifferenzierung auf, z.B. im Blick auf die Materialien und Zugänge zur Geschichte, die Produkte, und Präsentati-onsmöglichkeiten, die Lehr- und Lernwege, die Art der Gruppenzusammensetzung, unter-schiedliche Lernorte u.v.a.m.
20.    Hier sind auch die gesonderten Rahmenlehrpläne zu beachten.
21.    Für die zusammenfassende und ergänzende Tabelle vgl. den gedruckten Aufsatz.
22.    Vgl. auch Oliver Musenberg und Detlef Pech 2010
23.    Vgl. Birgit Wenzel 2009.
24.    Vgl. Klaus Feldmann und Elisabeth Wendebourg, 2009, S. 111-117 sowie Dario Ianes, 2009, S.119-121; Ianes verweist richtig auch auf die Möglichkeit, dass auch die lernschwächeren Lernenden, wenn möglich, als Tutorinnen und Tutoren eingesetzt werden sollten.


Literatur:
Adamski, Peter, Auf vielen Wegen ins Land der Pharaonen. Innere Differenzierung im Geschichtsunterricht, in: Geschichte Lernen (2009), Heft 131 (Differenzierung), S. 2-13

Barow, Thomas, Globale Konferenz über inklusive Bildung in Salamanca, in: Zeitschrift für Inklusion (2010), Heft 1, vgl. auch www.inklusion-online.net/index.php/inklusion/article/viewArticle/45/52

Barsch, Sebastian, Geschichtsunterricht an der Schule für Geistigbehinderte, in: Zeit-schrift für Heilpädagogik (2001), Heft 12, S. 515-518
Bönsch, Manfred, erfolgreiches Lernen durch Differenzierung im Unterricht, Braun-schweig 2009

Feldmann, Klaus; Wendebourg, Elisabeth, Schülerinnen und Schüler als Tutoren, in: Kunze, Ingrid; Solzbacher, Claudia (Hrsg.), Individuelle Förderung in der Sekundarstufe I und II, 2. unverä. A., Hohengehren-Baltmannweiler 2009, S. 111-117

Feyerer, Ewald, Pädagogik und Didaktik integrativer bzw. inklusiver Bildungsprozes-se. Herausforderung an Lehre, Forschung und Bildungsinstitutionen, in: Behinderte in Fami-lie, Schule und Gesellschaft (2003), Heft 1, Graz, S.38-52, vgl. auch bidok.uibk.ac.at/library/beh1-03-feyerer-bildungsprozesse.html

George, Uta; Winter, Bettina, Wir erobern uns unsere Geschichte. Menschen mit Be-hinderungen arbeiten in der Gedenkstätte Hadamar zum Thema NS-„Euthanasie“-Verbrechen, in: Zeitschrift für Heilpädagogik (2005), Heft 2, S. 55-62

Heese, Thorsten, Vergangenheit „begreifen“. Die gegenständliche Quelle im Ge-schichtsunterricht, Schwalbach/Ts. 2007

Hinz, Andreas, Heterogenität in der Schule. Integration – Interkulturelle Erziehung – Koedukation (1993), vgl. bidok.uibk.ac.at/library/hinz-heterogenitaet_schule.html

Ianes, Dario, Die besondere Normalität. Inklusion von SchülerInnen mit Behinderung, (aus dem Italienischen), München, Basel 2009

Kultusministerkonferenz: Statistische Veröffentlichungen. Sonderpädagogische Förderung in Schulen 1997 bis 2006, Dokumentation Nr. 185-April 2008, vgl. www.kmk.org/fileadmin/pdf/PresseUndAktuelles/2004/Dok185.pdf

Kunze, Ingrid, Begründungen und Problembereiche individueller Förderung in der Schule – Vorüberlegungen zu einer empirischen Untersuchung, in: Kunze, Ingrid; Solzbacher, Claudia (Hrsg.), Individuelle Förderung in der Sekundarstufe I und II, 2. unverä. A., Hohengehren-Baltmannweiler 2009, S. 13-26

Musenberg, Oliver/Pech, Detlef, Geschichte thematisieren - historisch lernen, in: Ratz, Christoph (Hrsg.): Unterricht im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Fachorientierung und Inklusion als didaktische Herausforderung, Oberhausen, 2011

Oelkers, Jürgen, Barrieren für individuelle Förderung im Bildungssystem und ihre Bearbeitung, in: Heterogenität und Bildung. Individuelle Förderung in Deutschland – Hindernisse und Herausforderungen basierend auf einer Expertise von Prof. Dr. J. Oelkers, Bertelsmann Stiftung (2009)

Paradies, Liane, Innere Differenzierung, in: Kunze, Ingrid; Solzbacher, Claudia (Hrsg.), Individuelle Förderung in der Sekundarstufe I und II, 2. unverä. A., Hohengehren-Baltmannweiler 2009, S. 65-74

Ricking, Heinrich, Die Reise nach Amerika: Carl Meyer wandert aus. Geschichtsun-terricht in einer achten Klasse einer Schule für Lernhilfe, in: Zeitschrift für Heilpädagogik (2002), Heft 7, S. 286-288

Sander, Alfred, Über Integration zur Inklusion, St. Ingbert 2003, [Saarbrücker Beiträge zur Integrationspädagogik, Bd. 12]

Schöler, Jutta, Alle sind verschieden. Auf dem Weg zur Inklusion in der Schule, Weinheim und Basel, 2009

Schönrock, Hannelore, Die Abhängigkeit der Bauern in der Grundherrschaft. Geschichtsunterricht in einer Lernhilfeklasse der Schule für Erziehungshilfe, in: Zeitschrift für Heilpädagogik (1997), Heft 6, S. 242-248

Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Berlin, Verordnung über die sonderpädagogische Förderung, (Sonderpädagogikverordnung - SopädVO), Juni 2009, vgl. www.berlin.de/sen/bildung/bildungswege/foerderschule/

Solzbacher, Claudia, Positionen von Lehrerinnen und Lehrern zur individuellen Förderung in der Sekundarstufe I – Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, in: Kunze, Ingrid; Solzbacher, Claudia (Hrsg.), Individuelle Förderung in der Sekundarstufe I und II, 2. unverä. A., Hohengehren-Baltmannweiler 2009, S. 27-42

Wenzel, Birgit, Geschichte erklären, in: Rüdiger Vogt (Hrsg.), Erklären. Gesprächs-analytische und fachdidaktische Perspektiven, (= Stauffenberg Linguistik), 2009
Wenzel, Birgit: Kreative und innovative Methoden. Geschichtsunterricht einmal an-ders, Schwalbach,Ts, 2010

 

 

(Birgit Wenzel: Heterogenität und Inklusion - Binnendifferenzierung und Individualisierung. Der vollständige Aufsatz erscheint in: Michele Barricelli/Martin Lücke (Hg.): Handbuch "Praxis des Geschichtsunterrichts". Historisches Lernen in der Schule, Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verlag 2011)