Planspiel: Rollenkarte Kanadische Regierungsdelegation

Phase 1

Julia Bertmann, 28:
"Ich komme gut klar, aber die Leute…
Mit meiner Behinderung komme ich gut klar, aber es gibt Leute, die nicht behindert sind, die sagen: Diese junge Frau tut mir leid, sie sieht so komisch aus. Was hat sie denn? Ist sie krank? Das sagen ihre Augen. Sie trauen sich nicht, das laut zu sagen, weil sie denken, sie ist doof und mit der spricht man nicht.
Eine Behinderung ist keine Krankheit. Wir Behinderte sind so geboren. Wir können nichts dazu. (…) Ich möchte so behandelt werden wie nichtbehinderte Menschen. Ich mag mich so wie ich bin. I am what I am. Ich lebe genau so wie nichtbehinderte Menschen." (1)

Allgemeine Informationen über euch

Durch eure Gruppe wird die Position Kanadas während der Verhandlungen vertreten. Euer Land hat 33,4 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Die Hauptstadt ist Ottawa-Carleton. Als Kanadierinnen und Kanadier seid ihr stolz auf eure kulturelle Vielfalt und legt viel Wert darauf, ein Einwanderungsland zu sein. Euer Ziel ist es, zu einer modernen, multikulturellen, aufgeschlossenen, kreativen und innovativen Nation zu werden. Minderheiten müssen sich bei euch nicht der Mehrheit anpassen.

Bei euch wurden seit Beginn der 1980er Jahre in einigen Provinzen die Sonderschulen erfolgreich abgeschafft. Entscheidend auf diesem Weg war, dass die Regelschullehrerinnen und -lehrer viel Unterstützung von Sonderpädagoginnen und -pädagogen bekamen. Die Abschaffung der Sonderschulen wurde Schritt für Schritt, mit viel Kommunikation und guter Unterstützung erreicht.

Eure Schwerpunkte und Forderungen bei den Verhandlungen: Die Anerkennung der Würde von Menschen mit Behinderungen

Eurer Meinung nach sind Staaten dazu verpflichtet, Gleichheit und Nichtdiskriminierung aller Menschen in ihrer nationalen Gesetzgebung und Politik festzuschreiben. Ein zentrales Element, um Gleichheit und Nichtdiskriminierung zu erreichen, ist der Schutz der Würde aller Menschen. Die Würde ist unantastbar und muss in der Gesetzgebung und im täglichen Leben geachtet werden. Aus diesem Grund muss in der Konvention auch deutlich die Würde von Menschen mit Behinderungen betont werden. Denn jedes Land, das die Konvention unterschreibt, muss sich an das halten, was darin steht und die Gesetzgebung danach ausrichten.

Menschen mit Behinderungen sollen nicht von anderen Menschen gesagt bekommen, was gut für sie ist. Sie sollen, wie alle anderen Menschen auch, Unterstützung dafür bekommen, selbst entscheiden zu können, was gut für sie ist. Denn sie können eigene Entscheidungen treffen und haben ein Recht auf Selbstbestimmung. Dies wurde lange Zeit nicht beachtet und so werden die Rechte von Menschen mit Behinderungen seit Jahrhunderten weltweit und in vielfältiger Weise verletzt. Menschen mit Behinderungen wurden und werden wegen ihrer Behinderung bevormundet, misshandelt oder sogar getötet. Dies muss sich eurer Meinung nach ändern. Denn für euch steht fest: Jeder Mensch, unabhängig von Herkunft oder Geschlecht, Alter, Behinderung etc. besitzt Menschenwürde. Und diese muss geschützt werden. Sie kann nur geschützt werden, wenn es keine Diskriminierung mehr gibt und der Wert und die Freiheit jedes Menschen anerkannt wird.

Forderungen an den Vertrag insgesamt: Die Würde von Menschen mit Behinderungen muss geschützt werden

Die Würde jedes Menschen ist zu achten, also auch die Würde von Menschen mit Behinderungen. Dies hat für euch oberste Priorität und ist die zentrale Forderung. Eurer Ansicht nach haben die Staaten und hat jeder einzelne Mensch die  Pflicht, die Menschenwürde nicht nur zu achten, sondern auch zu schützen. Der Schutz der Menschenwürde ist für euch die Grundlage aller weiteren Menschenrechte. Die menschliche Würde wird zum Beispiel durch Folter, Unterdrückung, erniedrigende Behandlung und durch Diskriminierung aufgrund von Alter, Geschlecht oder Behinderung verletzt. Zum Beispiel, wenn ein Mensch mit Behinderung eingesperrt oder geschlagen wird oder nicht genug zu essen bekommt, wird seine oder ihre Würde verletzt. Aber auch, wenn er oder sie gehänselt und verspottet oder bevormundet wird.

Euer Anliegen ist es, die Würde von Menschen mit Behinderungen vor allem durch Bildung und gezielte Öffentlichkeitsarbeit zu schützen. Denn die Menschen über ihre Rechte und Menschenwürde, über Freiheit, Toleranz, Selbstbestimmung, Nichtdiskriminierung und Schutz vor Gewalt zu informieren, ist eine entscheidende Grundlage für das gute Zusammenleben in der Gesellschaft.

Tipp: Schreibt diese Positionen in Stichpunkten auf ein Flipchart oder an die Tafel. Eure Sprecherin oder euer Sprecher wird sie in der Verhandlung zwei Minuten lang vorstellen. Sprecht euch in eurer Gruppe gut ab, denn ihr sollt ein einheitliches Bild nach außen abgeben. Macht euch durch euer Gruppenemblem erkennbar. In der Gruppe dürft ihr so viel diskutieren, wie ihr wollt. Ihr könnt dabei eure Rolle auch ausschmücken, mit eigenen Argumenten und Ideen bereichern oder etwas dazu erfinden. Beachtet aber bitte, dass ihr euch nicht zu weit von den Anregungen auf der Rollenkarte entfernt.

Beachtet bitte, dass das Recht auf Bildung in dieser Phase noch nicht im Mittelpunkt steht!

Phase 2

Haydee Beckles aus Panama:
"Ich habe meine Schulausbildung in einer Regelschule begonnen, aber ich war sehr langsam und schlief auf meinem Stuhl ein, daher hat der Lehrer gesagt, dass ich auf eine spezielle Schule gehen müsse. Sie haben mich auf eine Sonderschule geschickt. In dieser Schule haben sie kein Englisch gesprochen, nur Spanisch, und so musste ich Spanisch lernen. Dies war nicht meine Muttersprache, weil wir zu Hause Englisch gesprochen haben. Ich habe mich also angepasst und lebte von da an in zwei Welten. Zum einen im Sonderschulsystem, dort haben sie nur wenig von mir erwartet, also tat ich das Wenige. Zum anderen war ich zu Hause, meine Mutter und mein Vater haben mich in alles inkludiert, also einbezogen. Sie haben mich gelehrt, die Dinge auf meine eigene Weise zu tun. Ich habe gelernt meine Hausaufgaben langsam zu machen, mit all meinen Geschwistern. Ich habe gelernt, Diktate zu schreiben, Rechtschreibung zu üben und im Wörterbuch nachzuschlagen, mein Zimmer aufzuräumen und den Abwasch zu machen ohne etwas kaputt zu machen. Auf diese Weise habe ich gelernt, selbständig in der Gemeinschaft, gemeinsam mit allen anderen, zu leben. Mit meinem heutigen Verständnis sehe ich, dass meine Entwicklung besser verlaufen wäre, wenn ich in einer Regelschule unterrichtet worden wäre. Ich bin aus Panama hergekommen, um Sie alle zu bitten, anderen Kindern mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, in eine Schule für Alle zu gehen, in ihrer Gemeinde." (2) 

Eure Forderungen zum Recht auf Bildung: Bildung muss der Würde von Kindern gerecht werden

Das Schulsystem muss in jedem Fall die individuellen Bedürfnisse jedes einzelnen Kindes berücksichtigen und damit der Würde der Kinder gerecht werden. Die Lernbedingungen müssen so weit optimiert werden, dass alle Kinder in einer Schule angemessen unterrichtet werden können. Lehrer und Lehrerinnen müssen den Willen und die Möglichkeiten haben, auf die Kinder individuell und angemessen reagieren können.  Der Unterricht und die ganze Schule müssen so gestaltet sein, dass sich die Kinder wohlfühlen und bei allem was sie brauchen unterstützt werden.

Für euch steht fest, dass viele Kinder und Jugendliche ganz genau wissen, was gerecht und ungerecht ist. Ihr seht die Aufgabe der Schule und der Jugendhilfeeinrichtungen darin, Kindern und Jugendlichen dabei zu helfen herauszufinden, was gerecht ist und was nicht. Dazu müssen sie über ihre Rechte informiert werden und erfahren, wie sie ihre Rechte, aber auch die Rechte von anderen schützen können.

Ihr unterstützt und fordert eine Schule für Alle, da sie der Würde aller Kinder am besten gerecht werden kann. Für euch ist aber auch klar, dass man individuell auf jedes Kind eingehen muss, um dessen Würde zu schützen. Ihr weist ausdrücklich darauf hin, dass man dafür viel Fingerspitzengefühl braucht. Für den Schutz der Würde jedes einzelnen Schülers und jeder einzelnen Schülerin ist es sehr wichtig, dass alle zusammenarbeiten und keiner zurückbleibt.  

Tipp: Auch in Phase 2 dürft ihr wieder kreativ die Argumente und Forderungen ausschmücken und etwas dazu erfinden. Wichtig ist nur, dass ihr euch nicht zu weit von den Inhalten auf der Rollenkarte entfernt.

Schreibt eure Positionen in Stichpunkten auf ein Flipchart oder an die Tafel. Eure Sprecherin oder euer Sprecher wird diese wieder der Versammlung vorstellen. Denkt daran, dass in Phase 2 auch jemand anders für eure Gruppe sprechen kann als in Phase 1. Für die Vorstellung in der Versammlung habt ihr wieder zwei Minuten Zeit. Dann folgt eine Diskussion. Bereitet euch gut vor und bedenkt, dass ihr euch auch von anderen überzeugen lassen dürft und natürlich versuchen sollt, andere zu überzeugen. Die Ergebnisse der Diskussion sind offen. Wichtig ist nur, dass es am Ende eine Einigung gibt. Also seid diplomatisch.

Wenn andere Verhandlungsteilnehmende euch ablenken oder andere Menschen mit Behinderungen in den Vordergrund stellen als ihr, könnt ihr dies verstehen und auch annehmen. Euch ist aber trotzdem wichtig, eure inhaltlichen Schwerpunkte zu betonen und darüber zu verhandeln.

Übersicht über die anderen Gruppen

Damit ihr einschätzen könnt, was in den Verhandlungen auf euch zukommt, hier eine kurze Übersicht darüber, was die anderen Gruppen fordern. Überlegt in eurer Gruppe, wie ihr zu diesen Forderungen steht, ob ihr sie gut findet oder ablehnt. Bereitet euch damit auf die kommende Verhandlung vor.

Die Afrikanische Union fordert die besondere Förderung der Rechte von Mädchen und Frauen mit Behinderungen, auch in der Bildung und für eine Schule für Alle.

Australien möchte, dass jedes Kind in eine Schule für Alle geht, die wohnortnah ist und in die auch die Nachbarskinder gehen.

Brasilien findet, dass Bildung gemeinsam in einer Schule stattfinden soll, weil sich dadurch die Einstellung von Menschen ohne Behinderung gegenüber Menschen mit Behinderungen positiv verändern kann.

China möchte die Förderung der Armutsbekämpfung ausweiten und verschiedene Schulformen ermöglichen: Es muss der chinesischen Delegation zufolge für jedes Kind eine Schule geben, aber nicht unbedingt eine Schule für Alle.

Die Europäische Union möchte Chancengleichheit durch Bildung ermöglichen. Ihre Mitglieder sind sich nicht ganz einig, was genau das für das Schulsystem heißt.

Inclusion International fordert eine Schule für Alle, denn nur eine Schule für Alle kann die Kreativität und Begabungen von allen Kindern fördern.

Das Internationale Bündnis von Menschen mit Behinderungen fordert eine Schule für Alle und die Einführung von Brailleschrift, Leichter Sprache und Gebärdensprache als Fremdsprachen.

Japan legt besonders viel Wert auf eine kostenlose Bildung für jedes Kind. Das Schulsystem mit unterschiedlichen Schulformen sollte beibehalten werden.

Kanada ist der Meinung, dass Bildung unbedingt der Würde der Kinder gerecht werden muss und dass dies nur in einer Schule für Alle geschehen kann.

Norwegen legt großen Wert auf Lebenslanges Lernen, also Bildung für alt und jung. Norwegen hat keine klaren Vorstellungen darüber, ob es in Zukunft eine Schule für Alle oder verschiedene Schulformen geben sollte.

Die Weltorganisation gehörloser Menschen, die Weltorganisation für gehörloseblinde Menschen und die Weltorganisation für blinde Menschen sind sich einig, dass es verschiedene Schulformen geben muss. Aus ihrer Sicht ist die Forderung nach einer Schule für Alle nicht angemessen für Menschen, die blind, gehörlos oder gehörlosblind sind.


Quellen:
1: Julia Fischer, Anne Ott, Fabian Schwarz (Hg.) 2010: Mehr vom Leben. Frauen und Männer mit Behinderung erzählen. Balance Buch, Bonn, S. 266.
2: S. 138 Originalstatement aus den Dokumenten von Inclusion International, übersetzt vom Deutschen Institut für Menschenrechte