Planspiel: Rollenkarte Internationales Bündnis von Menschen mit Behinderungen (International Disability Alliance, IDA)

Phase 1

Julia Bertmann, 28:
"Ich komme gut klar, aber die Leute…
Mit meiner Behinderung komme ich gut klar, aber es gibt Leute, die nicht behindert sind, die sagen: Diese junge Frau tut mir leid, sie sieht so komisch aus. Was hat sie denn? Ist sie krank? Das sagen ihre Augen. Sie trauen sich nicht, das laut zu sagen, weil sie denken, sie ist doof und mit der spricht man nicht.
Eine Behinderung ist keine Krankheit. Wir Behinderte sind so geboren. Wir können nichts dazu. (…) Ich möchte so behandelt werden wie nichtbehinderte Menschen. Ich mag mich so wie ich bin. I am what I am. Ich lebe genau so wie nichtbehinderte Menschen." (1)

Allgemeine Informationen über euch

Ihr seid Mitglieder der IDA. Ihr habt euch 1999 gegründet und seid ein Netzwerk aus globalen und regionalen Organisationen, die sich für die Belange von Menschen mit Behinderungen einsetzen. Euer Ziel ist es, 650 Millionen Menschen mit Behinderungen weltweit zu repräsentieren. Eurer Meinung nach werden die Rechte von euren Mitgliedern nicht genügend berücksichtigt und manchmal ganz vergessen. Ihr trefft euch mit möglichst vielen eurer Mitglieder zweimal jährlich in Genf oder New York zu einem Austausch.

Eure Mitgliedsorganisationen sind beispielsweise:
Down Syndrome International (DSI) - eine internationale Organisation zur Förderung der Rechte von Menschen mit Down-Syndrom.
Inclusion International (II) - eine Organisation von und für Menschen mit Lernschwierigkeiten und ihren Familien.
International Federation of Hard of Hearing People (IFHOH) - eine weltweite Organisation für die Anerkennung der Rechte und Bedürfnisse von Menschen mit Hörbehinderungen.
The World Blind Union (WBU) – ein Zusammenschluss von schätzungsweise 160 Millionen blinden Menschen oder Menschen mit Sehbehinderungen.
The World Federation of Deafblind (WFDB) – ein Zusammenschluss von Organisationen und Verbänden für die Rechte von hör/sehbehinderten Menschen.
World Network of Users and Survivors of Psychiaty (WNUSP) - eine Organisation von psychiatrieerfahrenen und psychiatrieüberlebenden Menschen.
Arab Organization of Disabled People (AODP) – eine Organisation zur Verwirklichung der Rechte von Menschen mit Behinderungen aus arabischen Ländern der Welt.
European Disability Forum (EDF) - eine unabhängige europäische Nichtregierungsorganisation. Gemeinsam setzt ihr euch für die Rechte von über 50 Millionen Menschen mit Behinderungen in der europäischen Union ein.
The Latin American Network of Non-Governmental Organizations of Persons with Disabilities and their Families (RIADIS) - ein Netzwerk, das sich aus verschiedenen Behindertenorganisationen in Lateinamerika und der Karibik zusammensetzt. 

Euer Schwerpunkt bei den Verhandlungen: Es bedarf keiner neuen Ideen, die bereits bestehenden Menschenrechte müssen angepasst werden

Menschen mit Behinderungen brauchen keine Sonderrechte. Das darf eurer Meinung nach auf keinen Fall vergessen werden. Sie sollten sich unbedingt an den bereits bestehenden wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten aus dem Sozialpakt orientieren. Der Sozialpakt setzt sich beispielsweise für gleiche Rechte unabhängig der Hautfarbe, Religion, Sprache, dem Geschlecht oder der Herkunft ein. Es ist sehr schade, dass Menschen mit Behinderungen nicht im Sozialpakt erwähnt worden sind. Deswegen ist diese Konvention für euch umso wichtiger.

Eure Forderungen an den Vertrag insgesamt: Gleichheit und Nichtdiskriminierung

Ihr wollt eine umfassende Berücksichtigung von Gleichheit und Nichtsdiskriminierung von Menschen mit Behinderungen erreichen mit dem Vertrag. Jeder soll gleichberechtigter Teil der Gesellschaft sein. Menschen mit Behinderungen dürfen nicht mehr an den Rand gedrängt werden.

Tipp: Schreibt diese Positionen in Stichpunkten auf ein Flipchart oder an die Tafel. Eure Sprecherin oder euer Sprecher wird sie in der Verhandlung zwei Minuten lang vorstellen. Sprecht euch in eurer Gruppe gut ab, denn ihr sollt ein einheitliches Bild nach außen abgeben. Macht euch durch euer Gruppenemblem erkennbar. In der Gruppe dürft ihr so viel diskutieren, wie ihr wollt. Ihr könnt dabei eure Rolle auch ausschmücken, mit eigenen Argumenten und Ideen bereichern oder etwas dazu erfinden. Beachtet aber bitte, dass ihr euch nicht zu weit von den Anregungen auf der Rollenkarte entfernt.

Beachtet bitte, dass das Recht auf Bildung in dieser Phase noch nicht im Mittelpunkt steht!

Phase 2

Haydee Beckles aus Panama:
"Ich habe meine Schulausbildung in einer Regelschule begonnen, aber ich war sehr langsam und schlief auf meinem Stuhl ein, daher hat der Lehrer gesagt, dass ich auf eine spezielle Schule gehen müsse. Sie haben mich auf eine Sonderschule geschickt. In dieser Schule haben sie kein Englisch gesprochen, nur Spanisch, und so musste ich Spanisch lernen. Dies war nicht meine Muttersprache, weil wir zu Hause Englisch gesprochen haben. Ich habe mich also angepasst und lebte von da an in zwei Welten. Zum einen im Sonderschulsystem, dort haben sie nur wenig von mir erwartet, also tat ich das Wenige. Zum anderen war ich zu Hause, meine Mutter und mein Vater haben mich in alles inkludiert, also einbezogen. Sie haben mich gelehrt, die Dinge auf meine eigene Weise zu tun. Ich habe gelernt meine Hausaufgaben langsam zu machen, mit all meinen Geschwistern. Ich habe gelernt, Diktate zu schreiben, Rechtschreibung zu üben und im Wörterbuch nachzuschlagen, mein Zimmer aufzuräumen und den Abwasch zu machen ohne etwas kaputt zu machen. Auf diese Weise habe ich gelernt, selbständig in der Gemeinschaft, gemeinsam mit allen anderen, zu leben. Mit meinem heutigen Verständnis sehe ich, dass meine Entwicklung besser verlaufen wäre, wenn ich in einer Regelschule unterrichtet worden wäre. Ich bin aus Panama hergekommen, um Sie alle zu bitten, anderen Kindern mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, in eine Schule für Alle zu gehen, in ihrer Gemeinde." (2)

Eure Forderungen zum Recht auf Bildung: Ausbau von Brailleschrift, Leichter Sprache und Gebärdensprache als Fremdsprache, ausreichende Hilfsmittel in Schulen

Hintergrund: Ihr seid überzeugt, dass weltweit die Mehrzahl der Menschen mit Behinderungen keine oder ungenügende Bildung erhalten. Das Recht auf Bildung wahrzunehmen wird ihnen einfach von ihren Familien, den Schulen oder dem Land, in dem sie leben, nicht ermöglicht. Eure Erfahrungen haben euch gezeigt, dass Kinder mit Behinderungen, die trotzdem in eine Schule gehen, dort oft schlecht unterrichtet werden oder in getrennte Schulklassen oder sogar Schulen gehen müssen. Viele Kinder, die gehörlos, blind oder hör/sehbehindert sind, werden zum Beispiel oft nicht in ihrer Sprache, also der Gebärdensprache oder in Braille unterrichtet. Kinder mit Lernschwierigkeiten, die geistig behindert genannt werden, brauchen Leichte Sprache, um zu verstehen, was gesprochen wird.

Argumente: Eurer Meinung nach sollte es genau umgekehrt sein: Braille, Leichte Sprache und Gebärdensprache sollten in allen Schulen als reguläre Fremdsprache angeboten werden, genauso wie Latein, Türkisch, Englisch, Französisch. Kindern, die in Gebärdensprache oder mit Brailleschrift aufwachsen wird eurer Meinung nach andernfalls das Recht auf angemessene Kommunikation und Sprache und damit auch auf ihre kulturelle Identität verwehrt.

Forderungen: Um diese Rechte zu verwirklichen, müssen Schulen besser ausgestattet werden mit notwendigen Hilfsmitteln wie zum Beispiel elektronischen Sprachhilfen, Talker genannt für Kinder, die nicht selbständig sprechen können, Büchern in Brailleschrift, Lichtfunktionen für Kinder die nicht hören können, beispielsweise eine blickende Lampe für das Pausenzeichen und Pflegebäder und behindertengerechte Toiletten. Lehrerinnen und Lehrer sollen Gebärdensprache, Brailleschrift und Leichte Sprache beherrschen. Ihr wollt, dass alle Schulen angemessen ausgestattet und alle Lehrerinnen und Lehrer gut ausgebildet sind. Ihr fordert deswegen eine Schule für Alle.

Für euch ist wichtig zu betonen, dass davon alle Kinder profitieren. Eurer Meinung nach, stellt leichte Sprache, Braille und Gebärdensprache eine Bereicherung für alle Menschen dar und nicht nur für hör- oder sehbehinderte Menschen oder für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Das sieht man auch daran, dass alles, was in leichter Sprache veröffentlicht wird von allen Menschen gerne gelesen und besser verstanden wird als Veröffentlichungen in schwerer Sprache und Fachsprache.
Für euch ist eine inklusive Bildung, in der alle miteinander lernen und die Hilfe bekommen die sie brauchen, eine bessere Bildung für Alle.

Tipp: Auch in Phase 2 dürft ihr wieder kreativ die Argumente und Forderungen ausschmücken und etwas dazu erfinden. Wichtig ist nur, dass ihr euch nicht zu weit von den Inhalten auf der Rollenkarte entfernt. Schreibt eure Positionen in Stichpunkten auf ein Flipchart oder an die Tafel. Eure Sprecherin oder euer Sprecher wird diese wieder der Versammlung vorstellen. Denkt daran, dass in Phase 2 auch jemand anders für eure Gruppe sprechen kann als in Phase 1. Für die Vorstellung in der Versammlung habt ihr wieder zwei Minuten Zeit. Dann folgt eine Diskussion. Bereitet euch gut vor und bedenkt, dass ihr euch auch von anderen überzeugen lassen dürft und natürlich versuchen sollt, andere zu überzeugen. Die Ergebnisse der Diskussion sind offen. Wichtig ist nur, dass es am Ende eine Einigung gibt. Also seid diplomatisch.

Wenn andere Verhandlungsteilnehmende euch ablenken oder andere Menschen mit Behinderungen in den Vordergrund stellen als ihr, könnt ihr dies verstehen und auch annehmen. Euch ist aber trotzdem wichtig, eure inhaltlichen Schwerpunkte zu betonen und darüber zu verhandeln.

Übersicht über die anderen Gruppen

Damit ihr einschätzen könnt, was in den Verhandlungen auf euch zukommt, hier eine kurze Übersicht darüber, was die anderen Gruppen fordern. Überlegt in eurer Gruppe, wie ihr zu diesen Forderungen steht, ob ihr sie gut findet oder ablehnt. Bereitet euch damit auf die kommende Verhandlung vor.

Die Afrikanische Union fordert die besondere Förderung der Rechte von Mädchen und Frauen mit Behinderungen, auch in der Bildung und für eine Schule für Alle.

Australien möchte, dass jedes Kind in eine Schule für Alle geht, die wohnortnah ist und in die auch die Nachbarskinder gehen.

Brasilien findet, dass Bildung gemeinsam in einer Schule stattfinden soll, weil sich dadurch die Einstellung von Menschen ohne Behinderung gegenüber Menschen mit Behinderungen positiv verändern kann.

China möchte die Förderung der Armutsbekämpfung ausweiten und verschiedene Schulformen ermöglichen: Es muss der chinesischen Delegation zufolge für jedes Kind eine Schule geben, aber nicht unbedingt eine Schule für Alle.

Die Europäische Union möchte Chancengleichheit durch Bildung ermöglichen. Ihre Mitglieder sind sich nicht ganz einig, was genau das für das Schulsystem heißt.

Inclusion International fordert eine Schule für Alle, denn nur eine Schule für Alle kann die Kreativität und Begabungen von allen Kindern fördern.

Das Internationale Bündnis von Menschen mit Behinderungen fordert eine Schule für Alle und die Einführung von Brailleschrift, Leichter Sprache und Gebärdensprache als Fremdsprachen.

Japan legt besonders viel Wert auf eine kostenlose Bildung für jedes Kind. Das Schulsystem mit unterschiedlichen Schulformen sollte beibehalten werden.

Kanada ist der Meinung, dass Bildung unbedingt der Würde der Kinder gerecht werden muss und dass dies nur in einer Schule für Alle geschehen kann.

Norwegen legt großen Wert auf Lebenslanges Lernen, also Bildung für alt und jung. Norwegen hat keine klaren Vorstellungen darüber, ob es in Zukunft eine Schule für Alle oder verschiedene Schulformen geben sollte.

Die Weltorganisation gehörloser Menschen, die Weltorganisation für gehörloseblinde Menschen und die Weltorganisation für blinde Menschen sind sich einig, dass es verschiedene Schulformen geben muss. Aus ihrer Sicht ist die Forderung nach einer Schule für Alle nicht angemessen für Menschen, die blind, gehörlos oder gehörlosblind sind.


Quellen:
1: Julia Fischer, Anne Ott, Fabian Schwarz (Hg.) 2010: Mehr vom Leben. Frauen und Männer mit Behinderung erzählen. Balance Buch, Bonn, S. 266.
2: S. 138 Originalstatement aus den Dokumenten von Inclusion International, übersetzt vom Deutschen Institut für Menschenrechte