Planspiel: Rollenkarte Inclusion International
Phase 1
Julia Bertmann, 28:
"Ich komme gut klar, aber die Leute…
Mit meiner Behinderung komme ich gut klar, aber es gibt Leute, die nicht behindert sind, die sagen: Diese junge Frau tut mir leid, sie sieht so komisch aus. Was hat sie denn? Ist sie krank? Das sagen ihre Augen. Sie trauen sich nicht, das laut zu sagen, weil sie denken, sie ist doof und mit der spricht man nicht.
Eine Behinderung ist keine Krankheit. Wir Behinderte sind so geboren. Wir können nichts dazu. (…) Ich möchte so behandelt werden wie nichtbehinderte Menschen. Ich mag mich so wie ich bin. I am what I am. Ich lebe genau so wie nichtbehinderte Menschen." (1)
Allgemeine Informationen über euch
Ihr vertretet Inclusion International, einen weltweiten Zusammenschluss von Organisationen. Ihr setzt euch weltweit für die Menschenrechte von Menschen mit Lernschwierigkeiten ein. Früher sagte man "Menschen mit geistiger Behinderung", das findet ihr aber nicht gut. Ihr findet diese Bezeichnung abwertend. Inclusion International macht seit über 40 Jahren Menschenrechtsarbeit und hat etwa 200 Mitgliedsverbände in 115 Ländern. Euer Vorsitzender ist Robert Martin aus Neuseeland. Er hat selbst eine Lernbehinderung und aus diesem Grund verschiedene Berater und Assistenzen. Robert Martin hat sich schon immer dafür eingesetzt, dass Kinder mit Lernbehinderungen das Recht haben, die Regelschule zu besuchen. Seiner Meinung nach müssen in den Schulen aber qualifizierte Lehrkräfte zur Verfügung stehen und das Umfeld der Schule muss sich auf die Kinder einstellen (Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Nachbarschaft, Mitschülerinnen und Mitschüler).
Eure Schwerpunkte und Forderungen bei den Verhandlungen: Menschen mit Behinderungen leisten einen wertvollen Beitrag
Eure Vision ist eine Welt, in der Menschen mit Lernschwierigkeiten sowie Menschen mit anderen Behinderungen und ihre Familien die gleichen Chancen haben wie alle anderen und Wertschätzung und volle gesellschaftliche Teilhabe erleben. Sie sollen Teil des gesellschaftlichen Lebens in allen Aspekten sein, jeden Tag. Dabei ist es besonders wichtig anzuerkennen, dass Menschen mit Behinderungen in die sie betreffenden Entscheidungen immer eingebunden werden müssen und nicht über sie bestimmt werden darf. Ihre Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit muss gestärkt werden.
Eure Forderungen an den Vertrag insgesamt: Der Beitrag von Menschen mit Behinderungen muss Wertschätzung erfahren
Für euch steht fest, dass Menschen mit Behinderungen einen wertvollen Beitrag zum allgemeinen Wohl und zur Vielfalt in der Gemeinschaft leisten. Dies können sie jedoch nur tun, wenn sie ernst genommen werden und selbstbestimmt sie betreffende Entscheidungen treffen dürfen. Alle Menschen machen das Leben der Gemeinschaft bunter bereichern sie. Ihr möchtet, dass das in der Konvention festgehalten wird. Alle Menschen, auch als Künstler und Künstlerinnen oder Sportlerinnen und Sportler bei den Paralympics, leisten einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft. Sie vertreten ihre Länder und Sportarten bei den Olympischen Spielen für Menschen mit Behinderungen. Dies können sie erreichen, da ihr Beitrag willkommen ist und auch gefördert und wertgeschätzt wird. Leider werden die Paralympics von der Öffentlichkeit noch relativ wenig wahrgenommen und im Fernsehen bisher kaum übertragen. Viele Sender zeigen nur einzelne Ergebnisse oder Ausschnitte der Spiele. Ihr hofft, dass das Interesse an den Leistungen von Menschen mit Behinderungen in Zukunft zunehmen wird. Ihr würdet euch freuen, wenn es auch einmal Spiele für Alle Menschen gemeinsam gibt.
Tipp:
Schreibt diese Positionen in Stichpunkten auf ein Flipchart oder an die Tafel. Eure Sprecherin oder euer Sprecher wird sie in der Verhandlung zwei Minuten lang vorstellen. Sprecht euch in eurer Gruppe gut ab, denn ihr sollt ein einheitliches Bild nach außen abgeben. Macht euch durch euer Gruppenemblem erkennbar. In der Gruppe dürft ihr so viel diskutieren, wie ihr wollt. Ihr könnt dabei eure Rolle auch ausschmücken, mit eigenen Argumenten und Ideen bereichern oder etwas dazu erfinden. Beachtet aber bitte, dass ihr euch nicht zu weit von den Anregungen auf der Rollenkarte entfernt.
Beachtet bitte, dass das Recht auf Bildung in dieser Phase noch nicht im Mittelpunkt steht!
Phase 2
Haydee Beckles aus Panama:
"Ich habe meine Schulausbildung in einer Regelschule begonnen, aber ich war sehr langsam und schlief auf meinem Stuhl ein, daher hat der Lehrer gesagt, dass ich auf eine spezielle Schule gehen müsse. Sie haben mich auf eine Sonderschule geschickt. In dieser Schule haben sie kein Englisch gesprochen, nur Spanisch, und so musste ich Spanisch lernen. Dies war nicht meine Muttersprache, weil wir zu Hause Englisch gesprochen haben. Ich habe mich also angepasst und lebte von da an in zwei Welten. Zum einen im Sonderschulsystem, dort haben sie nur wenig von mir erwartet, also tat ich das Wenige. Zum anderen war ich zu Hause, meine Mutter und mein Vater haben mich in alles inkludiert, also einbezogen. Sie haben mich gelehrt, die Dinge auf meine eigene Weise zu tun. Ich habe gelernt meine Hausaufgaben langsam zu machen, mit all meinen Geschwistern. Ich habe gelernt, Diktate zu schreiben, Rechtschreibung zu üben und im Wörterbuch nachzuschlagen, mein Zimmer aufzuräumen und den Abwasch zu machen ohne etwas kaputt zu machen. Auf diese Weise habe ich gelernt, selbständig in der Gemeinschaft, gemeinsam mit allen anderen, zu leben. Mit meinem heutigen Verständnis sehe ich, dass meine Entwicklung besser verlaufen wäre, wenn ich in einer Regelschule unterrichtet worden wäre. Ich bin aus Panama hergekommen, um Sie alle zu bitten, anderen Kindern mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, in eine Schule für Alle zu gehen, in ihrer Gemeinde." (2)
Eure Forderungen zum Recht auf Bildung: Bildung muss die Kreativität und Begabung fördern
Als Vertreterinnen und Vertreter von Inclusion International drängt ihr darauf, dass der neue Menschenrechtsvertrag, die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, Schülerinnen und Schülern mit Lernschwierigkeiten und allen anderen Kindern ein Recht auf kostenlosen Schulunterricht zusichert. Wenn dies in der Konvention stehen würde, wäre es verbindliches Recht und muss für alle Kinder in allen Ländern, die den Vertrag unterzeichnen, umgesetzt werden.
Ihr findet es nicht gut, dass es auch heute noch in vielen Schulen Tests gibt, die festlegen, ob man gut genug ist für diese Schule oder nicht. Ihr fordert eine Schule für Alle, in die jede und jeder gehen darf, ohne einen Test bestehen zu müssen. Eurer Meinung nach wäre es mit einer Schule für Alle viel einfacher zu erreichen, dass alle Kinder eine Schulbildung erhalten. Denn dann würden alle Kinder gleichberechtigt in eine Schule gehen, ohne Unterscheidung nach Intelligenz, Armut oder Reichtum, guten oder schlechten Sprachkenntnissen. Auch an dieser Stelle ist es euch wieder sehr wichtig zu betonen, dass Menschen mit Behinderungen einen wertvollen Beitrag für die Gemeinschaft leisten und ihr euch wünscht, dass dieser gesehen und anerkannt wird. Dafür ist es wichtig, dass in den Bildungseinrichtungen die Begabungen und die Kreativität aller Kinder gefördert werden. Damit sie all ihre Fähigkeiten entfalten können und ihre Persönlichkeit gestärkt wird. Um dies zu erreichen, werden gut ausgestattete Schulen, durchdachte Lehrpläne, gut ausgebildete Lehrkräfte, viel Assistenz und besondere Hilfsmittel benötigt. Ihr findet, alle Kinder sollen gleich behandelt und individuell unterstützt werden. Dabei denkt ihr auch an Kinder, die im Rollstuhl sitzen oder nicht so gut sehen und hören können. Ihr seid euch sicher, dass mit entsprechend ausgestatteten Schulen alle gemeinsam unterrichtet werden können und kein Kind zurückbleibt oder ausgegrenzt wird.
Es darf nur eine Schule für Alle geben, sonst kann nie erreicht werden, dass alle gleich behandelt werden und der Beitrag von Menschen mit Behinderungen, egal welcher Art, geschätzt wird.
Tipp: Auch in Phase 2 dürft ihr wieder kreativ die Argumente und Forderungen ausschmücken und etwas dazu erfinden. Wichtig ist nur, dass ihr euch nicht zu weit von den Inhalten auf der Rollenkarte entfernt.
Schreibt eure Positionen in Stichpunkten auf ein Flipchart oder an die Tafel. Eure Sprecherin oder euer Sprecher wird diese wieder der Versammlung vorstellen. Denkt daran, dass in Phase 2 auch jemand anders für eure Gruppe sprechen kann als in Phase 1. Für die Vorstellung in der Versammlung habt ihr wieder zwei Minuten Zeit. Dann folgt eine Diskussion. Bereitet euch gut vor und bedenkt, dass ihr euch auch von anderen überzeugen lassen dürft und natürlich versuchen sollt, andere zu überzeugen. Die Ergebnisse der Diskussion sind offen. Wichtig ist nur, dass es am Ende eine Einigung gibt. Also seid diplomatisch.
Wenn andere Verhandlungsteilnehmende euch ablenken oder andere Menschen mit Behinderungen in den Vordergrund stellen als ihr, könnt ihr dies verstehen und auch annehmen. Euch ist aber trotzdem wichtig, eure inhaltlichen Schwerpunkte zu betonen und darüber zu verhandeln.
Übersicht über die anderen Gruppen
Damit ihr einschätzen könnt, was in den Verhandlungen auf euch zukommt, hier eine kurze Übersicht darüber, was die anderen Gruppen fordern. Überlegt in eurer Gruppe, wie ihr zu diesen Forderungen steht, ob ihr sie gut findet oder ablehnt. Bereitet euch damit auf die kommende Verhandlung vor.
Die Afrikanische Union fordert die besondere Förderung der Rechte von Mädchen und Frauen mit Behinderungen, auch in der Bildung und für eine Schule für Alle.
Australien möchte, dass jedes Kind in eine Schule für Alle geht, die wohnortnah ist und in die auch die Nachbarskinder gehen.
Brasilien findet, dass Bildung gemeinsam in einer Schule stattfinden soll, weil sich dadurch die Einstellung von Menschen ohne Behinderung gegenüber Menschen mit Behinderungen positiv verändern kann.
China möchte die Förderung der Armutsbekämpfung ausweiten und verschiedene Schulformen ermöglichen: Es muss der chinesischen Delegation zufolge für jedes Kind eine Schule geben, aber nicht unbedingt eine Schule für Alle.
Die Europäische Union möchte Chancengleichheit durch Bildung ermöglichen. Ihre Mitglieder sind sich nicht ganz einig, was genau das für das Schulsystem heißt.
Inclusion International fordert eine Schule für Alle, denn nur eine Schule für Alle kann die Kreativität und Begabungen von allen Kindern fördern.
Das Internationale Bündnis von Menschen mit Behinderungen fordert eine Schule für Alle und die Einführung von Brailleschrift, Leichter Sprache und Gebärdensprache als Fremdsprachen.
Japan legt besonders viel Wert auf eine kostenlose Bildung für jedes Kind. Das Schulsystem mit unterschiedlichen Schulformen sollte beibehalten werden.
Kanada ist der Meinung, dass Bildung unbedingt der Würde der Kinder gerecht werden muss und dass dies nur in einer Schule für Alle geschehen kann.
Norwegen legt großen Wert auf Lebenslanges Lernen, also Bildung für alt und jung. Norwegen hat keine klaren Vorstellungen darüber, ob es in Zukunft eine Schule für Alle oder verschiedene Schulformen geben sollte.
Die Weltorganisation gehörloser Menschen, die Weltorganisation für gehörloseblinde Menschen und die Weltorganisation für blinde Menschen sind sich einig, dass es verschiedene Schulformen geben muss. Aus ihrer Sicht ist die Forderung nach einer Schule für Alle nicht angemessen für Menschen, die blind, gehörlos oder gehörlosblind sind.
Quellen:
1: Julia Fischer, Anne Ott, Fabian Schwarz (Hg.) 2010: Mehr vom Leben. Frauen und Männer mit Behinderung erzählen. Balance Buch, Bonn, S. 266.
2: S. 138 Originalstatement aus den Dokumenten von Inclusion International, übersetzt vom Deutschen Institut für Menschenrechte