Planspiel: Rollenkarte Chinesische Regierungsdelegation

Phase 1

Julia Bertmann, 28:
"Ich komme gut klar, aber die Leute…
Mit meiner Behinderung komme ich gut klar, aber es gibt Leute, die nicht behindert sind, die sagen: Diese junge Frau tut mir leid, sie sieht so komisch aus. Was hat sie denn? Ist sie krank? Das sagen ihre Augen. Sie trauen sich nicht, das laut zu sagen, weil sie denken, sie ist doof und mit der spricht man nicht.
Eine Behinderung ist keine Krankheit. Wir Behinderte sind so geboren. Wir können nichts dazu. (…) Ich möchte so behandelt werden wie nichtbehinderte Menschen. Ich mag mich so wie ich bin. I am what I am. Ich lebe genau so wie nichtbehinderte Menschen." (1)

Allgemeine Informationen über euch

Als chinesische Delegation vertretet ihr euer Land und eure Regierung bei den Verhandlungen in New York. Für euch ist wichtig klarzustellen, dass die chinesische Regierung der Erziehung auch von behinderten Menschen immer viel Beachtung geschenkt hat. Aus diesem Grund wurden in der Vergangenheit mehrere Gesetze und Verordnungen erlassen, in denen der Schutz des Rechts von Menschen mit Behinderungen auf Bildung verankert worden ist. Bei euch gibt es Sonderschulen und landesweite Berufsbildungsstellen für Menschen mit Behinderungen. Außerdem Rehabilitations- und Trainingszentren.

Euch ist bewusst, dass ihr aufgrund der menschenrechtlichen Situation in eurem Land besonders kritisch betrachtet werdet. Trotz Eurer immer wichtiger werdenden Rolle auf der Weltbühne werdet ihr ständig kritisiert. Es in der Kritik an euch häufig um soziale Unruhen im Land und den Umgang der chinesischen Regierung mit diesen, um Korruption, unzureichende Gesundheitsversorgung und Unterdrückung von einzelnen Gruppen. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist angeblich sehr groß bei euch.

Ihr wisst, dass es auch Kritik an eurem Umgang mit den Menschenrechten gibt. Gesprochen wird von der Beschneidung des Rechts auf freie Meinungsäußerung, der Versammlungsfreiheit und der Religionsfreiheit. Die Inhaftierung und strafrechtliche Verfolgung von Menschen, die sich für diese Rechte einsetzten, die Kontrolle der Medien, des Internets und die ungeklärte Menschenrechtslage in Tibet sind leider immer wieder Themen bei Treffen wie diesem hier bei den Vereinten Nationen.

Ihr versteht nicht, warum sich andere Saaten in eure Angelegenheiten einmischen und findet, dass es beispielsweise wichtiger wäre, auf die Situation der Menschen in den so genannten Entwicklungsländern des Südens hinzuweisen, in denen eurer Meinung nach alles drunter und drüber geht.

Euer Schwerpunkt bei den Verhandlungen: Zusammenhänge zwischen Behinderung und Armut

Die Zusammenhänge zwischen Armut und Behinderung sind Eurer Meinung nach komplex. Es fehlen Menschen mit Behinderungen zum einen häufig der Zugang zu angemessener Schulbildung und Möglichkeiten der Erwerbsfähigkeit. Die soziale Absicherung von Menschen mit Behinderungen ist schlechter als bei dem Durchschnitt der Bevölkerung. Sie haben weniger Zugang zu finanziellen Ressourcen und zur Gesundheitsfürsorge. Häufig fehlt ihnen aufgrund fehlender Zugänge zu diesen auch ein stabiles soziales Umfeld, ein weiteres Armutsrisiko. Menschen mit Behinderungen und Menschen in Armutsverhältnissen haben häufiger chronische Erkrankungen, Mangel- oder Fehlernährung, Gewalterfahrungen, schlechteren Zugang zu Elektrizität und Wasser. Viele dieser Faktoren bedingen sich gegenseitig: Sie sind von Armut ausgelöst oder werden durch Armut bedingt.

Menschen mit Behinderung haben oft nicht die Möglichkeiten und finanziellen Mittel, um sich eine angemessene medizinische Versorgung zu organisieren. Eure Forschungen haben ergeben, dass etwa 80% von den 650 Millionen Menschen mit Behinderungen in Ländern mit hohen Armutsanteilen leben und daher selbst von Armut betroffen sind. Sie haben weniger Möglichkeiten als Menschen, die nicht in Armut leben, diese Situation zu verändern. Ihr findet es erschütternd, dass im Resultat nur etwa 1 bis 5% dieser Menschen mit Behinderungen Zugang zu Bildung erhalten.

Eure Forderungen an den Vertrag insgesamt: Förderung der Armutsbekämpfung

Euch ist besonders wichtig, dass jede Form der Armut von Menschen mit Behinderungen, vor allem in ländlichen Gebieten, reduziert wird. Die Interessen und Bedürfnisse der Menschen in den Entwicklungsländern des Südens zu vertreten, findet ihr deshalb sehr wichtig. Hier seht ihr die Armut am weitesten verbreitet. In China hingegen wird bereits sehr viel für die Armutsbekämpfung getan.

Forderungen: Eurer Meinung nach sollten alle erforderlichen Maßnahmen getroffen werden, um Menschen mit Behinderungen in der Arbeitsplatzsuche, der selbständigen Erwerbstätigkeit und auf dem Arbeitsmarkt zu unterstützen. Hierfür ist für euch ein Ausbau sozialer Hilfssysteme von besonderer Bedeutung. Hierzu gehören Beratungsstellen und angemessene und stabile Arbeitseinkommen. Diese seht ihr vor allem in den so genannten Entwicklungsländern noch nicht verwirklicht.

Tipp: Schreibt diese Positionen in Stichpunkten auf ein Flipchart oder an die Tafel. Eure Sprecherin oder euer Sprecher wird sie in der Verhandlung zwei Minuten lang vorstellen. Sprecht euch in eurer Gruppe gut ab, denn ihr sollt ein einheitliches Bild nach außen abgeben. Macht euch durch euer Gruppenemblem erkennbar. In der Gruppe dürft ihr so viel diskutieren wie ihr wollt. Ihr könnt dabei eure Rolle auch ausschmücken, mit eigenen Argumenten und Ideen bereichern oder etwas dazu erfinden. Beachtet aber bitte, dass ihr euch nicht zu weit von den Anregungen auf der Rollenkarte entfernt.

Beachtet bitte, dass das Recht auf Bildung in dieser Phase noch nicht im Mittelpunkt steht!

Phase 2

Haydee Beckles aus Panama:
"Ich habe meine Schulausbildung in einer Regelschule begonnen, aber ich war sehr langsam und schlief auf meinem Stuhl ein, daher hat der Lehrer gesagt, dass ich auf eine spezielle Schule gehen müsse. Sie haben mich auf eine Sonderschule geschickt. In dieser Schule haben sie kein Englisch gesprochen, nur Spanisch, und so musste ich Spanisch lernen. Dies war nicht meine Muttersprache, weil wir zu Hause Englisch gesprochen haben. Ich habe mich also angepasst und lebte von da an in zwei Welten. Zum einen im Sonderschulsystem, dort haben sie nur wenig von mir erwartet, also tat ich das Wenige. Zum anderen war ich zu Hause, meine Mutter und mein Vater haben mich in alles inkludiert, also einbezogen. Sie haben mich gelehrt, die Dinge auf meine eigene Weise zu tun. Ich habe gelernt meine Hausaufgaben langsam zu machen, mit all meinen Geschwistern. Ich habe gelernt, Diktate zu schreiben, Rechtschreibung zu üben und im Wörterbuch nachzuschlagen, mein Zimmer aufzuräumen und den Abwasch zu machen ohne etwas kaputt zu machen. Auf diese Weise habe ich gelernt, selbständig in der Gemeinschaft, gemeinsam mit allen anderen, zu leben. Mit meinem heutigen Verständnis sehe ich, dass meine Entwicklung besser verlaufen wäre, wenn ich in einer Regelschule unterrichtet worden wäre. Ich bin aus Panama hergekommen, um Sie alle zu bitten, anderen Kindern mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, in eine Schule für Alle zu gehen, in ihrer Gemeinde." (2)

Eure Forderungen zum Recht auf Bildung: Es muss Schulen geben für alle Kinder, aber nicht zwingend eine Schule für alle

Hintergrund: Das Recht auf Bildung findet ihr wichtig, seht ihr aber in eurem Land weitgehend für die meisten Menschen verwirklicht. Ihr findet es richtig, dass keinem Menschen aufgrund seiner Behinderung der Zugang zu Bildung verwehrt werden darf. Dafür habt ihr ein gut organisiertes Schulsystem mit besonderen Schulen für Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen, bei dem ihr wenige Mängel feststellen könnt und das deshalb beibehalten werden soll.

Forderungen: Alle Schulsysteme stellen für euch einen Weg dar, den Zugang zu Bildung zu gewährleisten. Ihr wisst, dass die anderen Verhandlungspartner eine gemeinsame Schule für alle Schülerinnen und Schüler als einzige Möglichkeit, das Recht auf Bildung zu verwirklichen ansehen. Ihr könnt diese Haltung jedoch nicht nachvollziehen und fordert, sich nicht auf ein Schulsystem einigen zu müssen. Dort, wo noch Probleme bei der Verwirklichung des Rechts auf Bildung bestehen – vor allem in anderen Ländern - ist es für euch wichtig zu betonen, dass man schrittweise und langsam vorgehen muss. Auch die Vereinbarungen der Menschenrechtsverträge können und sollen nicht von heute auf morgen umgesetzt werden müssen.

Tipp: Auch in Phase 2 dürft ihr wieder kreativ die Argumente und Forderungen ausschmücken und etwas dazu erfinden. Wichtig ist nur, dass ihr euch nicht zu weit von den Inhalten auf der Rollenkarte entfernt. Schreibt eure Positionen in Stichpunkten auf ein Flipchart oder an die Tafel. Eure Sprecherin oder euer Sprecher wird diese wieder der Versammlung vorstellen. Denkt daran, dass in Phase 2 auch jemand anders für eure Gruppe sprechen kann als in Phase 1. Für die Vorstellung in der Versammlung habt ihr wieder zwei Minuten Zeit. Dann folgt eine Diskussion. Bereitet euch gut vor und bedenkt, dass ihr euch auch von anderen überzeugen lassen dürft und natürlich versuchen sollt, andere zu überzeugen. Die Ergebnisse der Diskussion sind offen. Wichtig ist nur, dass es am Ende eine Einigung gibt. Also seid diplomatisch.

Wenn andere Verhandlungsteilnehmende euch ablenken oder andere Menschen mit Behinderungen in den Vordergrund stellen als ihr, könnt ihr dies verstehen und auch annehmen. Euch ist aber trotzdem wichtig, eure inhaltlichen Schwerpunkte zu betonen und darüber zu verhandeln.

Übersicht über die anderen Gruppen

Damit ihr einschätzen könnt, was in den Verhandlungen auf euch zukommt, hier eine kurze Übersicht darüber, was die anderen Gruppen fordern. Überlegt in eurer Gruppe, wie ihr zu diesen Forderungen steht, ob ihr sie gut findet oder ablehnt. Bereitet euch damit auf die kommende Verhandlung vor.

Die Afrikanische Union fordert die besondere Förderung der Rechte von Mädchen und Frauen mit Behinderungen, auch in der Bildung und für eine Schule für Alle.

Australien möchte, dass jedes Kind in eine Schule für Alle geht, die wohnortnah ist und in die auch die Nachbarskinder gehen.

Brasilien findet, dass Bildung gemeinsam in einer Schule stattfinden soll, weil sich dadurch die Einstellung von Menschen ohne Behinderung gegenüber Menschen mit Behinderungen positiv verändern kann.

China möchte die Förderung der Armutsbekämpfung ausweiten und verschiedene Schulformen ermöglichen: Es muss der chinesischen Delegation zufolge für jedes Kind eine Schule geben, aber nicht unbedingt eine Schule für Alle.

Die Europäische Union möchte Chancengleichheit durch Bildung ermöglichen. Ihre Mitglieder sind sich nicht ganz einig, was genau das für das Schulsystem heißt.

Inclusion International fordert eine Schule für Alle, denn nur eine Schule für Alle kann die Kreativität und Begabungen von allen Kindern fördern.

Das Internationale Bündnis von Menschen mit Behinderungen fordert eine Schule für Alle und die Einführung von Brailleschrift, Leichter Sprache und Gebärdensprache als Fremdsprachen.

Japan legt besonders viel Wert auf eine kostenlose Bildung für jedes Kind. Das Schulsystem mit unterschiedlichen Schulformen sollte beibehalten werden.

Kanada ist der Meinung, dass Bildung unbedingt der Würde der Kinder gerecht werden muss und dass dies nur in einer Schule für Alle geschehen kann.

Norwegen legt großen Wert auf Lebenslanges Lernen, also Bildung für alt und jung. Norwegen hat keine klaren Vorstellungen darüber, ob es in Zukunft eine Schule für Alle oder verschiedene Schulformen geben sollte.

Die Weltorganisation gehörloser Menschen, die Weltorganisation für gehörloseblinde Menschen und die Weltorganisation für blinde Menschen sind sich einig, dass es verschiedene Schulformen geben muss. Aus ihrer Sicht ist die Forderung nach einer Schule für Alle nicht angemessen für Menschen, die blind, gehörlos oder gehörlosblind sind.


Quellen:
1: Julia Fischer, Anne Ott, Fabian Schwarz (Hg.) 2010: Mehr vom Leben. Frauen und Männer mit Behinderung erzählen. Balance Buch, Bonn, S. 266.
2: S. 138 Originalstatement aus den Dokumenten von Inclusion International, übersetzt vom Deutschen Institut für Menschenrechte