Planspiel: Rollenkarte Brasilianische Regierungsdelegation

Phase 1

Julia Bertmann, 28:
"Ich komme gut klar, aber die Leute…
Mit meiner Behinderung komme ich gut klar, aber es gibt Leute, die nicht behindert sind, die sagen: Diese junge Frau tut mir leid, sie sieht so komisch aus. Was hat sie denn? Ist sie krank? Das sagen ihre Augen. Sie trauen sich nicht, das laut zu sagen, weil sie denken, sie ist doof und mit der spricht man nicht.
Eine Behinderung ist keine Krankheit. Wir Behinderte sind so geboren. Wir können nichts dazu. (…) Ich möchte so behandelt werden wie nichtbehinderte Menschen. Ich mag mich so wie ich bin. I am what I am. Ich lebe genau so wie nichtbehinderte Menschen." (1)

Allgemeine Informationen über euch

Bei euch in Brasilien gibt es eine Schulpflicht für Kinder zwischen sieben und 14 Jahren. Die Einhaltung zu überwachen ist jedoch sehr schwer, denn Brasilien ist ein großes Land mit vielen geografischen und sozialen Unterschieden.
1971 habt ihr in der Bildung eine Reform durchgeführt. Seitdem gibt es bei euch eine Schule für Alle. Diese Schule umfasst acht Schuljahre. Danach kann man noch mal für drei Jahre eine weiterführende Schule besuchen. Es gibt auch verschiedene Bildungsprogramme für Erwachsene. Diese sind oft kostenlos. Aber Kinder mit Behinderungen haben es bei euch teilweise schwer. Denn wenn sie in armen Gebieten leben, können sie oft keine Schule besuchen. Manchmal schämen sich auch die Eltern für ihre Kinder und schicken sie deshalb nicht in die Schule. Für euch steht fest: Das kann sich durch eine Behindertenrechtskonvention und durch Öffentlichkeitsarbeit für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ändern.  
Euch ist bewusst, dass die Menschenrechte in Brasilien immer wieder gefährdet sind. Es gibt Schwierigkeiten in folgenden Bereichen: Immer wieder kommt es vor, dass Menschen gefoltert werden. Die Gefängnisse sind schlecht ausgestattet und Inhaftierte leben oft unter unmenschlichen Bedingungen. Indigenen Gemeinschaften, also der Bevölkerungsgruppe, die zuerst in Brasilien lebte, sowie landlosen Arbeiterinnen und Arbeitern und kleinen ländlichen Gemeinden werden nach wie vor Landrechte verweigert und sie werden bedroht. Ihr habt diese Schwierigkeiten im Blick, jedoch ändert sich die Situation nur langsam.

Eure Schwerpunkte und Forderungen bei den Verhandlungen: Gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Teilhabe von Menschen mit Behinderungen bedeutet, dass sie wie alle anderen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und auch als dazugehörig wahrgenommen werden. Das betrifft nicht nur das alltägliche Zusammenleben, sondern auch die Politik und die Wirtschaft. Zur Teilhabe gehört, dass sie mit allen anderen in eine Schule, zur Arbeit und zur Wahl gehen und zum Beispiel auch, dass sie ein eigenes Konto haben. So wie alle anderen. Für all das müssen Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft willkommen sein und es muss vieles geändert werden, damit sie ohne Barrieren überall mitmachen können. Barrieren sind Hindernisse, wie hohe Bordsteine oder eine Treppe ins Rathaus, aber auch Texte in schwieriger Sprache.

Eure Forderungen an den Vertrag insgesamt: Nichtdiskriminierung, Gleichheit aller Menschen und volle Teilhabe in der Gemeinschaft

Eurer Ansicht nach sollte die Konvention ihren Fokus auf drei wesentliche Inhalte legen:

  • Nichtdiskriminierung von Menschen mit Behinderungen in der Politik, der Wirtschaft, im sozialen und kulturellen Leben und in allen anderen Lebensbereichen.
  • Gleichheit aller Menschen und volle Achtung der Menschenrechte. Es sollten Aktionen durchgeführt werden, um die Menschenrechte bekannter zu machen, vor allem bei Menschen mit Behinderungen, damit ihre Selbstbestimmung und Unabhängigkeit gefördert werden.
  • Menschen mit Behinderungen soll die volle Teilhabe in der Gemeinschaft ermöglicht werden, in allen Lebensbereichen, wie Arbeit, Medien, Wohnen, Erholung, Bildung, Sport und auch bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel.

Ein paar Beispiele:

  • Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer sollen ohne fremde Hilfe an Veranstaltungen teilnehmen können. Dazu darf der Veranstaltungsort nicht ausschließlich Treppen und keine engen Türen haben.
  • Blinde Menschen können ohne fremde Hilfe Informationen erhalten. Die Informationen stehen dazu auch in Brailleschrift oder als Tonaufnahme zur Verfügung.
  • Texte sind auch in Leichter Sprache verfasst, so können alle sie lesen, zum Beispiel auch Menschen mit Lernschwierigkeiten.


Schreibt diese Positionen in Stichpunkten auf ein Flipchart oder an die Tafel. Eure Sprecherin oder euer Sprecher wird sie in der Verhandlung zwei Minuten lang vorstellen. Sprecht euch in eurer Gruppe gut ab, denn ihr sollt ein einheitliches Bild nach außen abgeben. Macht euch durch euer Gruppenemblem erkennbar. In der Gruppe dürft ihr so viel diskutieren, wie ihr wollt. Ihr könnt dabei eure Rolle auch ausschmücken, mit eigenen Argumenten und Ideen bereichern oder etwas dazu erfinden. Beachtet aber bitte, dass ihr euch nicht zu weit von den Anregungen auf der Rollenkarte entfernt.

Beachtet bitte, dass das Recht auf Bildung in dieser Phase noch nicht im Mittelpunkt steht!

Phase 2

Haydee Beckles aus Panama:
"Ich habe meine Schulausbildung in einer Regelschule begonnen, aber ich war sehr langsam und schlief auf meinem Stuhl ein, daher hat der Lehrer gesagt, dass ich auf eine spezielle Schule gehen müsse. Sie haben mich auf eine Sonderschule geschickt. In dieser Schule haben sie kein Englisch gesprochen, nur Spanisch, und so musste ich Spanisch lernen. Dies war nicht meine Muttersprache, weil wir zu Hause Englisch gesprochen haben. Ich habe mich also angepasst und lebte von da an in zwei Welten. Zum einen im Sonderschulsystem, dort haben sie nur wenig von mir erwartet, also tat ich das Wenige. Zum anderen war ich zu Hause, meine Mutter und mein Vater haben mich in alles inkludiert, also einbezogen. Sie haben mich gelehrt, die Dinge auf meine eigene Weise zu tun. Ich habe gelernt meine Hausaufgaben langsam zu machen, mit all meinen Geschwistern. Ich habe gelernt, Diktate zu schreiben, Rechtschreibung zu üben und im Wörterbuch nachzuschlagen, mein Zimmer aufzuräumen und den Abwasch zu machen ohne etwas kaputt zu machen. Auf diese Weise habe ich gelernt, selbständig in der Gemeinschaft, gemeinsam mit allen anderen, zu leben. Mit meinem heutigen Verständnis sehe ich, dass meine Entwicklung besser verlaufen wäre, wenn ich in einer Regelschule unterrichtet worden wäre. Ich bin aus Panama hergekommen, um Sie alle zu bitten, anderen Kindern mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, in eine Schule für Alle zu gehen, in ihrer Gemeinde." (2)

Eure Forderung zum Recht auf Bildung: Bildung muss bewirken, dass sich Einstellungen ändern

Euch geht es darum, dass sich die Einstellungen gegenüber Menschen mit Behinderungen ändern. Zum Beispiel die Vorstellung, dass Menschen mit Behinderungen hilflos sind und nicht selbst entscheiden können. Aufgrund einer solchen Haltung haben jahrhundertelang andere Menschen für Menschen mit Behinderungen entschieden und bestimmt, was gut für sie ist und was nicht. Das muss sich ändern. Ihr fordert das Ende von Fürsorge und Bevormundung und die Förderung von Selbstbestimmung und Teilhabe. Dafür muss es eine Schule für Alle geben. Die Einstellungen gegenüber Menschen mit Behinderungen werden sich nur ändern, wenn alle zusammen lernen, in gegenseitigem Respekt füreinander aufwachsen und Behinderung auch ein Thema in den Lehrplänen wird. Die Kinder mit Behinderungen sollen in jedem Fall mit den Nachbarskindern und Geschwistern in eine Schule gehen können. Das stärkt die Gemeinschaft und macht auch für ihre Familien vieles leichter. Eine solche Bildung kann zu einem besseren Verständnis der Rechte von Menschen mit Behinderungen führen. Doch dafür bedarf es entscheidender Änderungen in der Bildung und den Schulen.

Ihr könnt verstehen, wenn andere Verhandlungspartnerinnen und -partner Schulsysteme mit verschiedenen Schulformen fordern. Euch ist es aber wichtig, dabei die Risiken nicht aus den Augen zu verlieren. Unterschiedliche Schulsysteme nebeneinander zu unterhalten kann dazu führen, dass nicht alle Schulen gleich gut ausgestattet sind. Wenn es in der Konsequenz nur eine Schule gibt, die barrierefrei ist, dann ist keine Schulwahlmöglichkeit für Kinder und Eltern vorhanden. Ihr denkt, dass im Resultat das Sonderschulsystem mit seinen Folgen bestehen bleibt.

Ihr seid euch mit der Afrikanischen Union einig, dass die Rechte von Mädchen und Frauen mit Behinderungen in der Konvention besonders berücksichtigt werden müssen. Denn sie sind besonders betroffen von Ausgrenzung und Gewalt.

Tipp:
Auch in Phase 2 dürft ihr wieder kreativ die Argumente und Forderungen ausschmücken und etwas dazu erfinden. Wichtig ist nur, dass ihr euch nicht zu weit von den Inhalten auf der Rollenkarte entfernt. Schreibt eure Positionen in Stichpunkten auf ein Flipchart oder an die Tafel. Eure Sprecherin oder euer Sprecher wird diese wieder der Versammlung vorstellen. Denkt daran, dass in Phase 2 auch jemand anders für eure Gruppe sprechen kann als in Phase 1. Für die Vorstellung in der Versammlung habt ihr wieder zwei Minuten Zeit. Dann folgt eine Diskussion. Bereitet euch gut vor und bedenkt, dass ihr euch auch von anderen überzeugen lassen dürft und natürlich versuchen sollt, andere zu überzeugen. Die Ergebnisse der Diskussion sind offen. Wichtig ist nur, dass es am Ende eine Einigung gibt. Also seid diplomatisch.

Wenn andere Verhandlungsteilnehmende euch ablenken oder andere Menschen mit Behinderungen in den Vordergrund stellen als ihr, könnt ihr dies verstehen und auch annehmen. Euch ist aber trotzdem wichtig, eure inhaltlichen Schwerpunkte zu betonen und darüber zu verhandeln.

Übersicht über die anderen Gruppen

Damit ihr einschätzen könnt, was in den Verhandlungen auf euch zukommt, hier eine kurze Übersicht darüber, was die anderen Gruppen fordern. Überlegt in eurer Gruppe, wie ihr zu diesen Forderungen steht, ob ihr sie gut findet oder ablehnt. Bereitet euch damit auf die kommende Verhandlung vor.

Die Afrikanische Union fordert die besondere Förderung der Rechte von Mädchen und Frauen mit Behinderungen, auch in der Bildung und für eine Schule für Alle.

Australien möchte, dass jedes Kind in eine Schule für Alle geht, die wohnortnah ist und in die auch die Nachbarskinder gehen.

Brasilien findet, dass Bildung gemeinsam in einer Schule stattfinden soll, weil sich dadurch die Einstellung von Menschen ohne Behinderung gegenüber Menschen mit Behinderungen positiv verändern kann.

China möchte die Förderung der Armutsbekämpfung ausweiten und verschiedene Schulformen ermöglichen: Es muss der chinesischen Delegation zufolge für jedes Kind eine Schule geben, aber nicht unbedingt eine Schule für Alle.

Die Europäische Union möchte Chancengleichheit durch Bildung ermöglichen. Ihre Mitglieder sind sich nicht ganz einig, was genau das für das Schulsystem heißt.

Inclusion International fordert eine Schule für Alle, denn nur eine Schule für Alle kann die Kreativität und Begabungen von allen Kindern fördern.

Das Internationale Bündnis von Menschen mit Behinderungen fordert eine Schule für Alle und die Einführung von Brailleschrift, Leichter Sprache und Gebärdensprache als Fremdsprachen.

Japan legt besonders viel Wert auf eine kostenlose Bildung für jedes Kind. Das Schulsystem mit unterschiedlichen Schulformen sollte beibehalten werden.

Kanada ist der Meinung, dass Bildung unbedingt der Würde der Kinder gerecht werden muss und dass dies nur in einer Schule für Alle geschehen kann.

Norwegen legt großen Wert auf Lebenslanges Lernen, also Bildung für alt und jung. Norwegen hat keine klaren Vorstellungen darüber, ob es in Zukunft eine Schule für Alle oder verschiedene Schulformen geben sollte.

Die Weltorganisation gehörloser Menschen, die Weltorganisation für gehörloseblinde Menschen und die Weltorganisation für blinde Menschen sind sich einig, dass es verschiedene Schulformen geben muss. Aus ihrer Sicht ist die Forderung nach einer Schule für Alle nicht angemessen für Menschen, die blind, gehörlos oder gehörlosblind sind.


Quellen:
1: Julia Fischer, Anne Ott, Fabian Schwarz (Hg.) 2010: Mehr vom Leben. Frauen und Männer mit Behinderung erzählen. Balance Buch, Bonn, S. 266.
2: S. 138 Originalstatement aus den Dokumenten von Inclusion International, übersetzt vom Deutschen Institut für Menschenrechte