Behinderung, Krankheit und Euthanasie im Nationalsozialismus

Aussagen der Tatbeteiligten der ersten Mordphase (Gasmorde) im zweiten Hadamar-Prozess 1947

Die nachfolgenden Texte sind Teile der Aussagen, die die in Hadamar Tatbeteiligten 1947 vor dem Frankfurter Landgericht machten. Es war der zweite Hadamar-Prozess. Bereits 1945 hatte es einen ersten Hadamar-Prozess gegeben, in Zuständigkeit der US-Armee.

Fragen zum zweiten Hadamar-Prozess:

  1. Lest die vier Aussagen durch. Wie empfindet ihr die Art und Weise dieser Schilderungen durch die Angeklagten? Angemessen oder eher unangemessen? Begründet eure Einschätzungen.
  2. Stellt anschließend gemeinsam Vermutungen darüber an, warum Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger und Verwaltungsangestellte sich entschieden haben könnten, am Morden teilzunehmen bzw. ihren Anteil dazu beizutragen. Überlegt, welche Möglichkeiten und Zeitpunkte es für sie gegeben haben könnte, sich zu verweigern. Welche Möglichkeiten hätten sie in ihrer jeweiligen Position wohl gehabt, auszusteigen?
  3. In vielen Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg stellten die Gerichte fest, dass den Ärzten und Ärztinnen, Schwestern und Pflegern, die sich bei Mordaktionen verweigert hatten, in der Regel nichts passiert war. Warum meint ihr, gab es dennoch so wenige, die damals Nein sagten?

 

1. Angeklagter Gorgaß (Arzt):

"2-3 Autobusse mit verhängten Fenstern, die fuhren an der Seitentür vor. Wenn die Kranken zur Aufnahme kamen, dann setzte ich mich in den Untersuchungsraum; (…) Dann kamen sie in den sogenannten Warte- und Auskleideraum, da wurden sie entkleidet. Die Omnibusse waren meist mit Gleichgeschlechtlichen geladen, die kamen rein und wurden ausgezogen und weitergeführt zum Photographieren, dann dem Bürobeamten vorgeführt, der die Identifizierung vornahm. Das Photographieren geschah aus dokumentarischen Gründen, natürlich auch aus wissenschaftlichen Gründen. (…) Die Krankengeschichte und Photokopie des Meldebogens lagen dabei. An Hand dieses Bogens wurde der Kranke noch einmal exploriert. Bei schizophrenen Endzuständen, bei Schwachsinn bedarf es in den meisten Fällen keiner langen weiteren Untersuchung, um die Schwere der Erkrankung festzustellen. (…) Sie wurden unten in den Vergasungsraum geführt, der wie ein Duschraum aussah. Der Raum war als Duschraum eingerichtet, gekachelt. (…) Die Kranken nahmen dort Platz und glaubten, die würden gebadet, jawohl. (…)
Wenige Minuten dauerte der Vorgang. (…) Der Tod ist ein friedlicher. Es ist ein einfaches Schlafen. (…) Die Leute ermüden und verlieren alle Verbindungen mit der Außenwelt und schlafen dann ein. (…) Nach 5-10 Minuten waren sie tot, jawohl. Nach etwa 1-2 Stunden wurde frische Luft zugeführt und dann später konnte erst die Zelle geöffnet werden. Die Leichen wurden dann herausgebracht und in das Krematorium gebracht und eingeäschert.
Das Krematorium war ebenfalls im Keller. (…) Mehrere Leichen lagen da zusammen zur Verbrennung, so daß die Asche festzustellen da nicht möglich war, nein. (…) Jawohl, es stimmt, daß die Leute da gar nicht die Asche ihres Verstorbenen bekamen (…)." (15)

2. Angeklagter R. (Krankenpfleger):

"Ich habe die Kranken auskleiden helfen und brachte die bis zum Flur. Von dort aus kamen sie zum Arzt durch andere Pfleger. Vom Arzt wurden sie gewogen, gemessen, photographiert, und dann kamen sie in den Keller. Wir gingen mit ihnen nur bis zur Kellertreppe (…). Die Vergasung? Da waren ungefähr nach meiner Schätzung 30 oder 40, oder 50-60 drin, jedenfalls keine hundert und auch keine 90. Herr Gorgaß erklärte mir dann den Vorgang an der Gasvorrichtung, und ich schaute auch durch das Fenster zum Gasraum hinein. Es dauerte auch nicht lange, nachdem Gorgaß die Leitung aufgedreht hatte, dann fielen die Leute, die gestanden haben, die fielen um, und die anderen, die gesessen haben. Und dann war bald kein Leben mehr zu sehen." (16)

3. Angeklagte S. (Verwaltungsangestellte):

"Ungefähr 4-6 Wochen habe ich Trostbriefe geschrieben. Darüber hinaus hatte ich dann Urkunden, Trostbriefe und die Karteikarten zu machen, da standen die Todesursache und alles drin. Ich hatte also Karteikarten anzulegen, Sterbeurkunden zu schreiben und Trostbriefe. Die Trostbriefe wurden nach einem bestimmten Schema geschrieben; die Arbeit war ziemlich stur. (…) Die Ärzte haben manchmal Decknamen geführt. (…) Dr. Gorgaß den Namen Kramer (?) und Direktor Berner, glaube ich, Barth. Die Namen wurden lediglich bei den Unterschriften der Trostbriefe geführt." (17)

4. Angeklagte Sch. (Verwaltungsangestellte):

"In den Trostbriefen wurde noch angegeben, daß die Angehörigen eine Bescheinigung der Friedhofsverwaltung mitschicken sollten, und diese Bescheinigung bekam ich dann. Die eingehende Post habe ich darauf durchgesehen, wenn etwas von Urnen drin stand und die Bescheinigung der Friedhofsverwaltung da war, da habe ich das Nötigste dazu geschrieben. (…) Dann war noch eine Gruppe da, schrieben die Angehörigen da, daß sie damit einverstanden wären, wenn die Urne auf irgendeinem Friedhof beigesetzt wurde, da habe ich anhand eines Atlasses und einer Liste die größere Stadt herausgesucht, auf deren Friedhof Urnen beigesetzt wurden. (…) Da, wo die Angehörigen nichts bestimmten, das wurde auf dem Anstaltsfriedhof bestattet." (18)


Quellen:
15: 2. Hadamarprozess beim Landgericht Frankfurt am Main, 26.2.1947; Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abteilung 461, Nr. 32061, Bd. 7, S. 12-14 und 17-19.
16: Ebd., S. 19.
17: 2. Hadamarprozess beim Landgericht Frankfurt am Main, 3.3.1947; Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abteilung 461, Nr. 32061, Bd. 7, S. 17.
18: Ebd., S. 21 f.