Behinderung, Krankheit und Euthanasie im Nationalsozialismus

Aussagen der Tatbeteiligten der Jahre 1942-1945 im zweiten Hadamar-Prozess 1947

Angeklagter R. (Krankenpfleger):

"Es mag auch sein, daß ich in die Partei ging, daß ich vielleicht Arbeit bekäme. (…) Es hat aber lange gedauert, bis 1936, bis ich Arbeit in der Landesheilanstalt Weilmünster bekam. (…) Als Lernpfleger kam ich nach Weilmünster. Das Examen haben wir einheitlich mit „ausreichend“ bestanden. (…) Eingesetzt wurde ich in Herborn als Pfleger. (…) Am 28. Juli 1941 wurde ich versetzt nach Hadamar. (…) Das Gewissen geschlagen? Das schon. Aber es hatte doch alles gar keinen Zweck, sich darüber zu äußern, denn wo gab es für einen Pfleger eine Stelle, wo er sich beschweren konnte?! (…)
Dann habe ich mir wieder gesagt: der Arzt, der die Anordnungen gibt als Vorgesetzter, der trägt die Verantwortung. Denn es wird wohl jedem von den Pflegern und Pflegerinnen bekannt sein, daß es bei den Schulungen immer geheißen hat: den Anordnungen des Arztes ist unbedingt Folge zu leisten als Vorgesetzter. Weigert sich ein Pfleger oder führt er irrtümlicherweise etwas Falsches aus, so wird der betreffende Pfleger als unbrauchbar bezeichnet. (…) Für richtig gehalten, daß man Geisteskranke in dem Zustand nicht mehr weiter ernährt? Ja, Gedanken habe ich mir schon gemacht. Aber die Patienten, die man hatte, die waren körperlich so schlecht, daß sie manchmal überhaupt nicht mehr stehen konnten, daß sie zum großen Teil verhungert sind. Und da war es doch eine Wohltat von meiner Auffassung aus, daß solche Leute möglichst schnell starben.
Daß sie verhungert waren? Diese schlechte Ernährung. Die Leute bekamen weiter nichts wie Wassersuppe, (…) Brennnesselsuppe und dergleichen." (21)

Quelle:
21:  2. Hadamarprozess vor dem Landgericht Frankfurt am Main, 26.2.1947, Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abteilung 461, Nr. 32061, Bd. 7, S. 17,18,22,23