Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem

vom 25. Februar 1965

faktisch geändert durch
Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der DDR (Verfassungsgrundsätze) vom 17. Juni 1990 (GBl. I S. 299), Art. 1 Abs. 2.
aufgehoben durch die Schulgesetze der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen von 1991/1992.
(…)

Die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik beschließt:

Erster Teil

Grundsätze und Ziele des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems und gesellschaftliche Erziehungsfaktoren

§ 1. (1) Das Ziel des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems ist eine hohe Bildung des ganzen Volkes, die Bildung und Erziehung allseitig und harmonisch entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten, die bewußt das gesellschaftliche Leben gestalten, die Natur verändern und ein erfülltes, glückliches, menschenwürdiges Leben führen.

(2) Das sozialistische Bildungssystem trägt wesentlich dazu bei, die Bürger zu befähigen, die sozialistische Gesellschaft zu gestalten, die technische Revolution zu meistern und an der Entwicklung der sozialistischen Demokratie mitzuwirken. Es vermittelt den Menschen eine moderne Allgemeinbildung und eine hohe Spezialbildung und bildet in ihnen zugleich Charakterzüge im Sinne der Grundsätze der sozialistischen Moral heraus. Das sozialistische Bildungssystem befähigt sie; als gute Staatsbürger wertvolle Arbeit zu leisten, ständig weiter zu lernen, sich gesellschaftlich zu betätigen, mitzuplanen und Verantwortung zu übernehmen, gesund zu leben, die Freizeit sinnvoll zu nutzen, Sport zu treiben und die Künste zu pflegen.

(3) Dieses Ziel eint den sozialistischen Staat und alle gesellschaftlichen Kräfte in gemeinsamer Bildungs- und Erziehungsarbeit.

§ 2. (1) Der sozialistische Staat sichert mit dem einheitlichen sozialistischen Bildungssystem allen Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik das gleiche Recht auf Bildung.

(2) Die grundlegenden Bestandteile des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems sind:

  • die Einrichtungen der Vorschulerziehung,
  • die zehnklassige allgemeinbildende polytechnische Oberschule,
  • die Einrichtungen der Berufsausbildung,
  • die zur Hochschulreife führenden Bildungseinrichtungen,
  • die Ingenieur- und Fachschulen,
  • die Universitäten und Hochschulen,
  • die Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung der Werktätigen.

Die Sonderschuleinrichtungen nehmen Kinder mit physischen oder psychischen Schädigungen auf.

(3) Die Einheitlichkeit in der Zielsetzung und im Aufbau des sozialistischen Bildungssystems schließt, entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen und den individuellen Begabungen, Differenzierungen in den Bildungswegen auf den oberen Stufen ein.

(4) Das sozialistische Bildungssystem ist so aufgebaut, daß jedem Bürger der Übergang zur jeweils nächsthöheren Stufe bis zu den höchsten Bildungsstätten, den Universitäten und Hochschulen, möglich ist. Für die höheren Bildungseinrichtungen werden die Besten und Befähigtsten ausgewählt. Dabei ist die soziale Struktur der Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik zu berücksichtigen.

(…)

Zweiter Teil

Schulpflicht - Schulgeldfreiheit

§ 8. (1) In der Deutschen Demokratischen Republik besteht allgemeine zehnjährige Oberschulpflicht. Sie entspricht dem Recht aller Kinder und Jugendlichen auf Oberschulbildung.

(2) Die allgemeine Oberschulpflicht besteht vom beginnenden 7. Lebensjahr für alle Kinder, deren Erziehungspflichtige ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik haben.

(3) Die allgemeine Oberschulpflicht ist durch den Besuch der zehnklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule zu erfüllen. In bestimmten Fällen kann die Oberschulbildung in den Einrichtungen der Berufsausbildung oder der Aus- und Weiterbildung der Werktätigen beendet werden.

(4) Berufsschulpflichtig sind Jugendliche, die in einem Lehrverhältnis stehen oder die gemäß Abs. 3 die Oberschulbildung in den Einrichtungen der Berufsausbildung bzw. der Aus- und Weiterbildung der Werktätigen zu beenden haben. Für Jugendliche im Lehrverhältnis dauert die Berufsschulpflicht bis zur Beendigung der Lehrzeit. Mit Absolventen der Ober-. schulen, die in keinem Lehrverhältnis stehen, haben die Betriebe Qualifizierungsverträge abzuschließen.

(5) Schulpflichtige mit physischen oder psychischen Schädigungen erfüllen ihre Schulpflicht in den für sie vorgesehenen staatlichen Sonderschuleinrichtungen.

(6) Einzelheiten gemäß Absätzen 2, 3 und 5 regeln der Minister für Volksbildung, gemäß Abs. 4 der Vorsitzende der Staatlichen Plankommission.

§ 9. (1) In der Deutschen Demokratischen Republik besteht Schulgeldfreiheit.

(2) Das Direktstudium an den Universitäten, Hoch= und Fachschulen ist für alle Bürger der Deutschen Demokratischen Republik gebührenfrei.

(3) Für die- Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung der Werktätigen erlassen die Leiter der zuständigen Organe des Ministerrates besondere Regelungen.

(4) Lernmittelfreiheit und Erziehungsbeihilfen können gewährt werden.

(5) An Studenten im Direktstudium an den Universitäten, Hoch- und Fachschulen können entsprechend dem Leistungsprinzip und der sozialen Lage Stipendien gewährt werden.

2. Abschnitt

Spezialschulen und Spezialklassen

§ 18. (1) Spezialschulen sind allgemeinbildende Schulen. Sie dienen besonderen Erfordernissen der Nachwuchsentwicklung für die Wirtschaft die Wissenschaft, den Sport und die Kultur. Die Spezialschulen nehmen Schüler mit hohen Leistungen und besonderen Begabungen auf.

(2) Es sind Spezialschulen und Spezialklassen technischer, mathematischer, naturwissenschaftlicher, sprachlicher, künstlerischer und sportlicher Richtungen einzurichten.

(3) Spezialschulen und Spezialklassen führen in der Regel zur Hochschulreife. Spezialschulen und Spezialklassen, die nicht zur Hochschulreife führen; bereiten auf besondere künstlerische oder sportliche Leistungen vor.

(4) Spezialschulen und Spezialklassen sind nur in begrenztem Umfang zu errichten. Anzahl und Standort legt das Ministerium für Volksbildung fest,

(5) Die wichtigsten Einrichtungen für die außerunterrichtliche instrumentale Musikerziehung sind die Musikschulen.

(6) Die Betriebe, die wissenschaftlichen und künstlerischen Einrichtungen sichern gemeinsam mit den Organen für Volksbildung die personellen und materiellen Voraussetzungen.

3. Abschnitt.

Sonderschulen

§ 19. (1) Die Sonderschulen und andere sonderpädagogischen Einrichtungen - nachstehend Sonderschulen genannt - haben die Bildung und Erziehung aller Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen mit wesentlichen physischen oder psychischen Schädigungen zu gewährleisten. Die Sonderschulen erfassen in entsprechenden Einrichtungen Schwerhörige und Gehörlose, Sehschwache und Blinde, Sprach- und Stimmgestörte, schulbildungsfähige Schwachsinnige, dauernd Körperbehinderte, wesentlich Verhaltensgestörte und für längere Zeit erkrankte bzw. in Einrichtungen des Gesundheitswesens stationär behandlungsbedürftige Kinder und Jugendliche.

(2) Die Sonderschulen haben den Bildungs- und Erziehungsprozeß inhaltlich, organisatorisch und methodisch so zu gestalten, daß auch die geschädigten Kinder und Jugendlichen das sozialistische Bildungs- und Erziehungsziel vollständig öder nach den durch die physischen und psychischen Schädigungen verbliebenen Möglichkeiten erreichen. Die Schüler sollen befähigt werden, entsprechend der erreichten Qualifikation nach Maßgabe ihrer Kräfte in der sozialistischen Gesellschaft zu wirken und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Für die berufliche Aus- und Weiterbildung geschädigter Erwachsener sind erforderlichenfalls sonderpädagogische Maßnahmen zu sichern.

(3) In den einzelnen Sonderschulen sind die Bildungsstufen so aufeinander abzustimmen, daß unter Umständen ein Übergang aus sonderpädagogischen in allgemeine Bildungseinrichtungen erfolgen kann. Die Sonderschulen sind nach pädagogischen und medizinischen Grundsätzen zu differenzieren.

(4) Für verhaltensgestörte Kinder und Jugendliche, die nach Entscheidung der örtlichen Organe des Gesundheitswesens und für Volksbildung keine örtliche Schule besuchen können, sind sonderpädagogische Maßnahmen einzuleiten.

(5) Das Ministerium für Volksbildung gewährleistet in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Gesundheitswesen die Bildung und Erziehung der physisch bzw. psychisch Geschädigten. Dazu gehört eine systematische Früherfassung der Geschädigten.

(6) Schüler und Absolventen aus Sonderschulen können eine Berufsausbildung oder eine Ausbildung auf einem Teilgebiet eines Berufes erhalten.
(..)

Neunter Teil

Verantwortung der sozialistischen Gesellschaft für das einheitliche sozialistische Bildungssystem

§ 78. (1) Die allseitige und umfassende Verwirklichung des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems ist Angelegenheit der gesamten sozialistischen Gesellschaft. Die gesellschaftlichen Organisationen und alle Bürger der Deutschen Demokratischen Republik sind aufgerufen, die Tätigkeit der Staats- und Wirtschaftsorgane und der Einrichtungen des sozialistischen Bildungssystems zur Durchführung dieses Gesetzes zu fördern, tatkräftig zu unterstützen und in den demokratischen Formen bei der Leitung des sozialistischen Bildungssystems mitzuwirken.

(2) Die demokratischen Parteien und Massenorganisationen, die gesellschaftlichen Einrichtungen und wissenschaftlichen Gesellschaften sind aufgerufen, zur allseitigen Bildung und Erziehung der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik im Sinne dieses Gesetzes beizutragen.

Das vorstehende, von, der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik am fünfundzwanzigsten Februar neunzehnhundertfünfundsechzig beschlossene Gesetz wird hiermit verkündet.

Berlin, den fünfundzwanzigsten Februar neunzehnhundertfünfundsechzig

Der Vorsitzende des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik
W. Ulbricht

Quellen:
Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1965 Teil I. S. 83
© 9. Dezember 2004