Petra Stephan (geb. 1953 in Medingen bei Dresden)

Petra Stephan wurde 1953 in Medingen, einem Ortsteil der Gemeinde Ottendorf-Okrilla in Sachsen, geboren. Sie kam mit einer Muskelerkrankung namens Myotonia congenita ("Oppenheim-Krankheit") zur Welt und nutzt einen Rollstuhl, weil sie durch die Erkrankung nicht laufen kann. Ihre Familie hatte eine Bäckerei. Petra Stephan wuchs mit ihren Eltern, Großeltern, drei jüngeren Geschwistern und den Angestellten des Familienbetriebes auf. Das Mädchen besuchte keinen Kindergarten, aber der Hof der Familie war immer voller Kinder, mit denen sie Kontakt hatte und spielen konnte.

Schwieriger wurde die Frage, wo sie zur Schule gehen konnte. In der DDR galt die Schulpflicht auch für Kinder mit körperlichen Behinderungen. Wie die meisten anderen Schulen war auch die Dorfschule in Petra Stephans Heimatort nicht rollstuhlgerecht gebaut. Auch waren die Rollstühle sehr unpraktisch, weil sie seit fast 50 Jahren nicht verändert worden waren. Ihr Rahmen bestand aus billigem Stahl und war deshalb sehr schwer.

Die Kinder und Jugendlichen wurden in Krankenhausschulen unterrichtet, die jeweils auf unterschiedliche Behinderungen spezialisiert waren. Diese Schulen waren alle weit von Petra Stephans Heimatort entfernt. Sie hätte für den Schulbesuch ihre Familie und Freundinnen verlassen müssen. Da weder Petra noch ihre Familie dies wollten und sie in ihrem Ort nicht zuletzt durch die Bäckerei viele Kontakte hatte, bemühten sich die Lehrerinnen und Lehrer und die Familie gemeinsam um eine Lösung. Letzlich konnte die Familie erreichen, dass Petra Stephan zunächst zwei Schuljahre zuhause bleiben durfte und Hausunterricht bekam. Bis zur 3. Klasse kam jeden Morgen noch vor Beginn des Unterrichts an der Dorfschule oder in der Mittagspause eine Lehrerin oder ein Lehrer vorbei, um das Kind zu unterrichten. Ab der 3. Klasse ließ sich der Besuch der Sonderschule in Gotha und ab der 7. Klasse der Besuch einer Schule in Birkenwerder bei Berlin nicht mehr verhindern. Die Eltern besuchten ihre Tochter dort einmal im Monat. Die Schulen waren "orthopädische Kliniken" und nahmen Kinder und Jugendliche mit Körperbehinderungen auf. Petra Stephan hatte dort zunächst großes Heimweh, wie die meisten Schülerinnen und Schüler, die alle von ihren Familien getrennt waren. Die Kinder lebten außerhalb des Unterrichtes in großen Krankenzimmern zusammen und wurden vom medizinischem Personal als Patienten und Patientinnen betrachtet und behandelt. Tagsüber wurden sie von Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet und konnten sich in Jugendorganisationen der DDR engagieren. In diesem Rahmen war es ihnen auch möglich, Verbesserungen und Veränderungen für sich zu erreichen, wie Klavierunterricht, Kinobesuche oder Ausflüge. So gelang es Petra Stephan durch die Förderung der Lehrer und Lehrerinnen, die Erweiterte Oberschule zu absolvieren. Als eine von nur 13 Prozent der Schüler und Schülerinnen in der DDR konnte sie das Abitur machen und wurde zum Studium zugelassen.

Petra Stephan studierte Klinische Psychologie an der Humboldt-Universität in Berlin. Auch die Universität war nicht barrierefrei. Da sie die einzige Studentin war, die einen Rollstuhl nutzte, wurde alles, was sie tat oder sagte, von den Lehrenden und ihren Mitstudierenden mit besonderem Interesse verfolgt. Von ihr wurde erwartet, mindestens genauso gute Leistungen zu erbringen wie alle anderen, obwohl sie unter denkbar schwierigeren Bedingungen studieren musste.

Petra Stephan hatte intensiven Kontakt zu anderen Menschen mit Behinderungen, mit denen sie sich gemeinsam bemühte auf ihre Situation aufmerksam zu machen und diese zu verbessern. Die offizielle Gründung einer (Selbsthilfe-)Gruppe oder eines Vereins war in der DDR allerdings nicht erlaubt, wodurch die Bemühungen von Petra Stephan und ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern erschwert wurden.

Nach der deutschen Wiedervereinigung gründete sie mit Freunden und Freundinnen das "Berliner Zentrum für Selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen e. V.". "Uns selbst zu helfen war der erste Schritt, anderen zu helfen", sagt sie heute. Nach dem Motto "Nichts über uns - ohne uns!" arbeiten solche Zentren seit vielen Jahren bundesweit daran, das Recht auf Selbstbestimmung für alle Menschen mit Behinderungen durchzusetzen.

Zurzeit arbeitet und unterrichtet die Diplom-Psychologin am Institut für Medizinische Psychologie der Charité in Berlin. Die Behinderung, sagt sie, sei Teil ihrer Identität. Neben ihrer Arbeit interessiert sie sich für Konzerte, Kino, Theater und vieles mehr. Sie engagiert sich ehrenamtlich in der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e. V. – ISL

Quellen:
Website BZSL
Website Der Tagesspiegel: "Eine starke Gemeinschaft"
Website BZSL: "15 Jahre BZSL - und weiter 'auf zack'!" (PDF, 50 KB, nicht barrierefrei)