Planspiel: Rollenkarte Weltorganisationen gehörloser, gehörlosblinder und blinder Menschen

Phase 1

Julia Bertmann, 28:
"Ich komme gut klar, aber die Leute…
Mit meiner Behinderung komme ich gut klar, aber es gibt Leute, die nicht behindert sind, die sagen: Diese junge Frau tut mir leid, sie sieht so komisch aus. Was hat sie denn? Ist sie krank? Das sagen ihre Augen. Sie trauen sich nicht, das laut zu sagen, weil sie denken, sie ist doof und mit der spricht man nicht.
Eine Behinderung ist keine Krankheit. Wir Behinderte sind so geboren. Wir können nichts dazu. (…) Ich möchte so behandelt werden wie nichtbehinderte Menschen. Ich mag mich so wie ich bin. I am what I am. Ich lebe genau so wie nichtbehinderte Menschen." (1)

Allgemeine Informationen über euch

World Blind Union (Weltorganisation für blinde Menschen)
Als World Blind Union vertretet ihr mehr als 160 Millionen blinde und sehbeeinträchtigte Menschen in 177 Mitgliedsländern. Ihr seid eine Nichtregierungsorganisation. Eure Vision ist eine Welt, in der alle Menschen gleichberechtigt zusammenleben.

World Federation of the Deafblind  (Weltorganisation für gehörlose und gleichzeitig blinde, bzw. sehbehinderte Menschen)
Als Vertreterinnen und Vertreter der World Federation of the Deafblind seid ihr ein Zusammenschluss von hör-sehbehinderten Menschen und vertretet diese weltweit. Euer Ziel ist es, die Lebensqualität von hör-sehbehinderten Menschen weltweit zu verbessern und ihre gesellschaftliche Isolation aufzubrechen.

World Federation of the Deaf (Weltorganisation gehörloser Menschen)
Als World Federation of the Deaf habt ihr euch 1951 in Rom/Italien zusammengeschlossen. Ihr vertretet Menschen mit Hörbehinderungen. Eure Arbeitsschwerpunkte sind:

  • die Gebärdensprache bekannter zu machen,
  • die Bildung für Menschen mit Hörbehinderungen zu verbessern,
  • den Zugang zu Information und Dienstleistungen für Menschen mit Hörbehinderungen auszubauen.

Euer Schwerpunkt bei den Verhandlungen: Die Lebensqualität von Menschen mit Sinnesbehinderungen muss verbessert werden

Ihr seid der festen Überzeugung, dass es für euch als Menschen mit Hör- und Sehbehinderungen wichtig ist, eure Lebensart, Kultur, Sprache und euer Umfeld selbst wählen zu können. Ihr findet, Menschen mit Sinnesbehinderungen sind die am stärksten isolierte Menschengruppe, die am häufigsten aus der Gesellschaft ausgeschlossen wird. Dies hängt damit zusammen, dass es euch viel schwerer fällt als anderen Menschen, Kontakte zu knüpfen. Ihr habt oft keine Chance, euch mitzuteilen und werdet deswegen ausgegrenzt. Ihr findet es bedauerlich, dass die meisten Menschen viel zu wenig darüber wissen, wie ihr lebt und welche Schwierigkeiten ihr habt. Eine umfassende Teilhabe an der Bildung, dem Arbeitsleben und Freizeitaktivitäten war für euch bisher nicht möglich, da die allermeisten Menschen eure Sprachen nicht beherrschen, eure Kommunikationswege nicht kennen und damit eure Kultur nicht teilen. 

Ihr weist besonders auf die extreme Isolation von Menschen hin, die sowohl hör- als auch sehbehindert sind. Sie können ihre Umgebung nur über ihren Tastsinn, ihr Vibrationsempfinden, ihren Geruchs-, Geschmacks- und Gleichgewichtssinn erkunden.

Forderungen an den Vertrag insgesamt: Lebensbedingungen für Menschen mit Sinnesbehinderungen verbessern

Ihr wollt, dass jeder blinde, sehbehinderte oder hörbehinderte Mensch so selbstständig und selbstbestimmt wie möglich leben kann. Hierfür muss sie oder er so viel Unterstützung und Förderung erfahren, wie sie oder er benötigt. Ihr setzt euch deshalb für die Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen, für gesellschaftliche und berufliche Eingliederung ein. Menschen, die nicht sehen oder hören können sollen wie alle anderen Menschen auch ganz selbstverständlich Teil der Gesellschaft sein und sich willkommen fühlen. Um dies zu gewährleisten, muss mehr auf ihre persönlichen, unterschiedlichen Bedürfnisse eingegangen werden.

Dazu gehört Folgendes:

  • Verkehrsampeln haben neben einer Vibrationsfunktion auch eine Sprachfunktion,
  • Hörfilme und Übersetzungen in Gebärdensprache laufen im Fernsehen,
  • Wahlschablonen ermöglichen blinden Menschen die geheime Wahl,
  • Medikamentenverpackungen und –beipackzettel werden leicht verständlich, größer und auch in Brailleschrift beschriftet,
  • Geldscheine und Münzen sind blinden- und sehbehindertengerecht,
  • Hotels, Restaurants und Bars verbessern ihr Angebot für Menschen, die Gebärdensprache nutzen oder auf den Tastsinn bei der Kommunikation angewiesen sind,
  • Menschen, die sowohl hör- als auch sehbehindert sind haben eine umfassende Assistenz, um überall dort teilzunehmen.

Tipp
Schreibt diese Positionen in Stichpunkten auf ein Flipchart oder an die Tafel. Eure Sprecherin oder euer Sprecher wird sie in der Verhandlung zwei Minuten lang vorstellen. Sprecht euch in eurer Gruppe gut ab, denn ihr sollt ein einheitliches Bild nach außen abgeben. Macht euch durch euer Gruppenemblem erkennbar. In der Gruppe dürft ihr so viel diskutieren wie ihr wollt. Ihr könnt dabei eure Rolle auch ausschmücken, mit eigenen Argumenten und Ideen bereichern oder etwas dazu erfinden. Beachtet aber bitte, dass ihr euch nicht zu weit von den Anregungen auf der Rollenkarte entfernt.

Beachtet bitte, dass das Recht auf Bildung in dieser Phase noch nicht im Mittelpunkt steht!

Phase 2

Haydee Beckles aus Panama:
"Ich habe meine Schulausbildung in einer Regelschule begonnen, aber ich war sehr langsam und schlief auf meinem Stuhl ein, daher hat der Lehrer gesagt, dass ich auf eine spezielle Schule gehen müsse. Sie haben mich auf eine Sonderschule geschickt. In dieser Schule haben sie kein Englisch gesprochen, nur Spanisch, und so musste ich Spanisch lernen. Dies war nicht meine Muttersprache, weil wir zu Hause Englisch gesprochen haben. Ich habe mich also angepasst und lebte von da an in zwei Welten. Zum einen im Sonderschulsystem, dort haben sie nur wenig von mir erwartet, also tat ich das Wenige. Zum anderen war ich zu Hause, meine Mutter und mein Vater haben mich in alles inkludiert, also einbezogen. Sie haben mich gelehrt, die Dinge auf meine eigene Weise zu tun. Ich habe gelernt meine Hausaufgaben langsam zu machen, mit all meinen Geschwistern. Ich habe gelernt, Diktate zu schreiben, Rechtschreibung zu üben und im Wörterbuch nachzuschlagen, mein Zimmer aufzuräumen und den Abwasch zu machen ohne etwas kaputt zu machen. Auf diese Weise habe ich gelernt, selbständig in der Gemeinschaft, gemeinsam mit allen anderen, zu leben. Mit meinem heutigen Verständnis sehe ich, dass meine Entwicklung besser verlaufen wäre, wenn ich in einer Regelschule unterrichtet worden wäre. Ich bin aus Panama hergekommen, um Sie alle zu bitten, anderen Kindern mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, in eine Schule für Alle zu gehen, in ihrer Gemeinde." (2)

Eure Forderung zum Recht auf Bildung:  Es soll weiterhin mehrere Schulformen geben

Der Hintergrund eurer Forderungen: Ihr seid erschüttert darüber, dass weltweit betrachtet die Mehrzahl der Kinder mit Hör/Sehbehinderungen keinen Zugang zu Bildung hat. Sie werden ausgegrenzt oder die angebotene Bildung ist nicht hochwertig. Es gibt oft nicht genügend Schulmaterial und schlecht ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer. Das größte Problem und die zentrale Menschenrechtsverletzung ist, dass Kindern mit einer Hörbehinderung, blinden Kindern und hör-sehbehinderten Kindern kein Unterricht in Gebärdensprache beziehungsweise Brailleschrift ermöglicht wird.

Besonders wichtig ist euch, dass die Bedürfnisse von Menschen mit Sinnesbehinderungen in der Bildung umfassend berücksichtigt werden. Sie brauchen Hilfsmittel, um sich verständlich zu machen. Sie sind auf eine Kommunikation durch spezielle Schrift, Übersetzungen in Gebärdensprache, besondere Arbeitsblätter, Sprachcomputer angewiesen. Das Lernumfeld muss dafür sehr umfangreich ausgestattet sein.

Ihr fordert alle Anwesenden dazu auf, dass der Vertrag folgende Punkte zum Recht auf Bildung berücksichtigen soll: Blinde, gehörlose und hör-sehbehinderte Kinder und Jugendliche und ihre Eltern sollen die Bildungseinrichtung frei auswählen dürfen. Dazu soll es in Zukunft wie bisher zwei Schulformen geben, Regelschulen und spezielle Schulen für Kinder mit Sinnesbehinderungen. So können diese Kinder entweder mit anderen sinnesbehinderten Kindern oder in der Regelschule unterrichtet werden. Gleichzeitig soll es in der Regelschule Unterricht auch für hörende und sehende Kinder in Brailleschrift und Gebärdensprache geben. Wenn viele Kinder diese Sprachen und Schriften kennen und lernen und es auch für Lehrer und Lehrerinnen an Regelschulen normal geworden ist, diese Sprachen zu unterrichten, wird es möglich, eine Schule für alle zu verwirklichen.
Solange dies nicht der Fall ist, befürchtet ihr, dass Kinder mit Sinnesbehinderungen in einer Schule für Alle keine Chance haben, ihre eigene Kultur und Sprache zu entwickeln und zudem weiterhin ausgegrenzt würden. Sie haben dort keine Chance, Freundinnen und Freunde zu finden und sind von den anderen Kindern isoliert. Da zwischen den Kindern Sprachbarrieren bestehen, ist es zu schwer für Kinder mit Hör/Sehbehinderungen, Kontakt mit sehenden oder hörenden Kindern aufzunehmen.

Ihr bedauert sehr, euch beim Thema Schule für Alle gegen die anderen Vertreterinnen und Vertreter stellen zu müssen. Aber ihr seid der Meinung, dass Inklusion in Form einer Schule für Alle noch nicht funktioniert.
 
Tipp
Auch in Phase 2 dürft ihr wieder kreativ die Argumente und Forderungen ausschmücken und etwas dazu erfinden. Wichtig ist nur, dass ihr euch nicht zu weit von den Inhalten auf der Rollenkarte entfernt.

Schreibt eure Positionen in Stichpunkten auf ein Flipchart oder an die Tafel. Eure Sprecherin oder euer Sprecher wird diese wieder der Versammlung vorstellen. Denkt daran, dass in Phase 2 auch jemand anders für eure Gruppe sprechen kann als in Phase 1. Für die Vorstellung in der Versammlung habt ihr wieder zwei Minuten Zeit. Dann folgt eine Diskussion. Bereitet euch gut vor und bedenkt, dass ihr euch auch von anderen überzeugen lassen dürft und natürlich versuchen sollt, andere zu überzeugen. Die Ergebnisse der Diskussion sind offen. Wichtig ist nur, dass es am Ende eine Einigung gibt. Also seid diplomatisch.

Wenn andere Verhandlungsteilnehmende euch ablenken oder andere Menschen mit Behinderungen in den Vordergrund stellen als ihr, könnt ihr dies verstehen und auch annehmen. Euch ist aber trotzdem wichtig, eure inhaltlichen Schwerpunkte zu betonen und darüber zu verhandeln.

Übersicht über die anderen Gruppen

Damit ihr einschätzen könnt, was in den Verhandlungen auf euch zukommt, hier eine kurze Übersicht darüber, was die anderen Gruppen fordern. Überlegt in eurer Gruppe, wie ihr zu diesen Forderungen steht, ob ihr sie gut findet oder ablehnt. Bereitet euch damit auf die kommende Verhandlung vor.

Die Afrikanische Union fordert die besondere Förderung der Rechte von Mädchen und Frauen mit Behinderungen, auch in der Bildung und für eine Schule für Alle.

Australien möchte, dass jedes Kind in eine Schule für Alle geht, die wohnortnah ist und in die auch die Nachbarskinder gehen.

Brasilien findet, dass Bildung gemeinsam in einer Schule stattfinden soll, weil sich dadurch die Einstellung von Menschen ohne Behinderung gegenüber Menschen mit Behinderungen positiv verändern kann.

China möchte die Förderung der Armutsbekämpfung ausweiten und verschiedene Schulformen ermöglichen: Es muss der chinesischen Delegation zufolge für jedes Kind eine Schule geben, aber nicht unbedingt eine Schule für Alle.

Die Europäische Union möchte Chancengleichheit durch Bildung ermöglichen. Ihre Mitglieder sind sich nicht ganz einig, was genau das für das Schulsystem heißt.

Inclusion International fordert eine Schule für Alle, denn nur eine Schule für Alle kann die Kreativität und Begabungen von allen Kindern fördern.

Das Internationale Bündnis von Menschen mit Behinderungen fordert eine Schule für Alle und die Einführung von Brailleschrift, Leichter Sprache und Gebärdensprache als Fremdsprachen.

Japan legt besonders viel Wert auf eine kostenlose Bildung für jedes Kind. Das Schulsystem mit unterschiedlichen Schulformen sollte beibehalten werden.

Kanada ist der Meinung, dass Bildung unbedingt der Würde der Kinder gerecht werden muss und dass dies nur in einer Schule für Alle geschehen kann.

Norwegen legt großen Wert auf Lebenslanges Lernen, also Bildung für alt und jung. Norwegen hat keine klaren Vorstellungen darüber, ob es in Zukunft eine Schule für Alle oder verschiedene Schulformen geben sollte.

Die Weltorganisation gehörloser Menschen, die Weltorganisation für gehörloseblinde Menschen und die Weltorganisation für blinde Menschen sind sich einig, dass es verschiedene Schulformen geben muss. Aus ihrer Sicht ist die Forderung nach einer Schule für Alle nicht angemessen für Menschen, die blind, gehörlos oder gehörlosblind sind.


Quellen:
1: Julia Fischer, Anne Ott, Fabian Schwarz (Hg.) 2010: Mehr vom Leben. Frauen und Männer mit Behinderung erzählen. Balance Buch, Bonn, S. 266.
2: S. 138 Originalstatement aus den Dokumenten von Inclusion International, übersetzt vom Deutschen Institut für Menschenrechte