Fähigkeiten erkunden und Lernen dokumentieren – Ich kann etwas und lerne…

von Stefan Doose

„Man kann einen Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken.“
Galileo Galilei

Fähigkeiten erkunden

Die eigenen Fähigkeiten und Gaben zu erkunden und zu entwickeln, braucht Gelegenheiten und Anregungen. Bildungsprozesse, so wissen wir heute, sind überwiegend Selbstbildungsprozesse. Welche Möglichkeiten werden mir gegeben, Dinge, die mich interessieren, zu verfolgen und auszuprobieren? Was wird mir zugetraut?

„Niemand weiß, was er kann, bevor er's versucht.“
Publilius Syrus

Inklusive Bildung hat den Anspruch, dass alle Menschen anspruchsvolle Lernumgebungen und Aufgaben erhalten, individuell beim Lernen begleitet werden und dass Barrieren, die Lernen und Teilhabe stören oder vehindern, beseitigt werden. Mehr zum Thema Inklusion und zum Recht auf inklusive Bildung durch das neue Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen erfahren Sie unter Inklusion als Menschenrecht.

Jedes Kind hat ein Recht darauf, dass seine Fähigkeiten und sein Lernen gesehen und für sich gewürdigt werden, ohne mit anderen verglichen zu werden. Jedes Kind hat andere Fähigkeiten und Gaben. Personenzentriertes Denken und Persönliche Zukunftsplanung basieren auf einem stärkenorientierten Ansatz. Es geht darum zu wissen, was die Stärken und Fähigkeiten einer Person sind, was sie kann, bei alledem was sie vielleicht noch nicht kann. Im Zusammenhang mit Persönlicher Zukunftsplanung wird oft von den Gaben eines Kindes oder Erwachsenen gesprochen, zum Beispiel von John O‘Brien und Jack Pearpoint:

„Gaben sind Stärken und Fähigkeiten, die uns gegeben sind, damit wir sie anderen geben können. Sie haben eine soziale Komponente und sind unsere Möglichkeit etwas beizutragen und teilzuhaben. Dabei kommt es nicht darauf an, der Beste in der großen weiten Welt zu sein. Manche Gaben machen einen Unterschied für einen kleinen Kreis von Leuten: die Familie, die Kindergartengruppe. Manche Gaben erreichen viele Menschen, zum Beispiel im Stadtteil oder im ganzen Land. Gaben verkümmern, wenn sie nicht gesehen, vernachlässigt oder nicht empfangen werden. Gaben verlangen manchmal Mut, sie einzusetzen und Disziplin, sie weiterzuentwickeln.“

Die eigenen Stärken und Fähigkeiten - also seine Gaben - benennen zu können, Beispiele des Gelingens festzuhalten, Lernerfahrungen beschreiben zu können, sind wichtige Grundlagen eines guten Selbst-Bewusstseins. Deshalb ist es wichtig, sie zu dokumentieren. Dies kann zum Beispiel im Rahmen eines Portfolios oder ICH-Buchs geschehen. Die Dokumentation der Stärken, Fähigkeiten und Interessen ist auch Ausgangspunkt einer Persönlichen Zukunftsplanung.

Im Folgenden lernen Sie Methoden kennen, um Fähigkeiten und Lernprozesse von Kindern mit den Kindern zu erkunden und festzuhalten, zum Beispiel auf „Ich kann“-Seiten, durch „Hutkarten“ oder das Konzept der Lerngeschichten.

„Ich-kann“-Seiten

Eine „Ich-kann“-Seite, auf der die Stärken und Fähigkeiten einer Person zusammengetragen werden, ist ein wichtiges Dokument. Diese Seite kann mit Zeichnungen, Fotos, Karten aus entsprechenden Kartensets oder Worten gestaltet und nach und nach ergänzt werden. Solche Seiten oder Plakate können leicht erstellt werden.

Es gibt aber auch Vorlagen, wie das  Arbeitsblatt "Meine Stärken und Fähigkeiten". Die „Ich-kann“-Seiten sind ein guter Beitrag für die „Ich-Seiten“ in einem Portfolio.

Meine Lernziele

Auf einer anderen Seite können Kinder, Jugendliche und Erwachsene ihre persönlichen Lernziele in verschiedenen Bereichen für die nächste Zeit aufschreiben. Was möchte ich lernen? Diese Seite kann auch gut für ein Portfolio genutzt oder als Plakat gestaltet werden.

Geschafft – gelernt

Eine andere Möglichkeit sind die „Geschafft  - gelernt“-Seiten, wie sie Antje Borstelmann für das Portfolio vorschlägt. Auf dieser Seite wird per Foto oder Text festgehalten, wenn ein Kind eine neue Fertigkeit erlernt hat, wenn es sich zum Beispiel zum ersten Mal alleine anzieht, die Schnürsenkel bindet oder Fahrrad fährt.

Kartensets: „Ich-kann“-Karten, „Hutkarten“, „Skill-Cards“

Die Hutkarten dienen dazu, über die eigenen Fähigkeiten ins Gespräch zu kommen. Wie in einem Hutgeschäft überlegt man, ob einem der Hut passt („Ein Gartenmensch bin ich“), man etwas gerne ausprobieren möchte („Sänger wäre auch nicht schlecht“) oder der Hut gar nicht passt („Bedenkenträgerin will ich nicht sein“). In der Rechten Spalte finden Sie eine Auswahl an Karten, die auch mit Kindern genutzt werden können.

Welcher Hut passt zu mir?

Auf jeder Karte ist mit einfacher Strichzeichnung eine Rolle dargestellt: „Sänger/Sängerin“, „Gartenmensch“, „Babynarr“ und „Bedenkenträger/Bedenkenträgerin“.
Vier Beispiele für Hutkarten von New Hats

Die „Ich-kann“-Karten wurden von der Hamburger Arbeitsassistenz für Jugendliche mit Lernschwierigkeiten zur beruflichen Orientierung entwickelt und sind auf der DVD in der Broschüre „Talente“ zu finden. Einige der Karten können auch schon mit Kindern verwendet werden.

Für Erwachsene gibt es die Skill-Cards, Bilderkarten, mit denen verschiedene Kompetenzen abgebildet werden. Sie können zur Beschreibung des eigenen Kompetenz-Profils genutzt werden.

„Was andere an mir schätzen und mögen“ – Rückmeldung von anderen bekommen

Es ist wichtig, von anderen Menschen wertschätzende Rückmeldung zu bekommen. Unter „Wertschätzung ausdrücken – was andere an mir schätzen und mögen“ erhalten Sie viele methodische Ideen, wie dies passieren kann.

Ein Plakat „Was andere an mir schätzen und mögen“, auf dem mehrere Leute, zum Beispiel ein Unterstützungskreis, auflisten, was sie an einem schätzen und mögen, ist immer eine gute Stärkung.

 „Am Schönsten fand ich, als alle gesagt haben, was sie an mir mögen“
Aussage eines Planenden

Dieses Plakat wird zum Beispiel am Anfang einer Persönlichen Lagebesprechung genutzt. Im MAPS-Prozess werden die Gaben der planenden Person im Unterstützungskreis zusammengetragen, um dann zu erkunden, was notwendig ist, damit diese Gaben eingesetzt werden können und zur Geltung kommen.

„3 gute Dinge über mich“

Eine nette Idee von Helen Sanderson Associates, einem britischen Beratungsteam im Bereich „Personenzentrierte Methoden“, um positive Rückmeldungen von anderen Personen einzuholen, ist eine Postkarte mit „3 guten Dingen über mich“. Sie kann an mir wichtige Menschen, wie Mitschülerinnen und Mitschüler, Familienangehörige, Freundinnen und Freunde, Erzieherinnen und Erzieher, Kolleginnen und Kollegen mit der Bitte um Rückmeldung verteilt werden. So können in einen Persönlichen Zukunftsplanungsprozess auch gut Rückmeldungen von Personen eingebaut werden, die weiter weg wohnen und nicht zu einem Unterstützungskreis-Treffen kommen können. In der Rechten Spalte finden Sie eine Kopiervorlage der Postkarte „Diese 3 Dinge mag und schätze ich an dir“ die von Inken Kramp gestaltet wurde.

Körperumriss – persönliches Profilbild

Eine Frau steht lächelnd vor ihrem auf ein großes Plakat gezeichneten Körperumriss, der aufgehängt wurde. In dem Körperumriss und darum herum kleben Karten aus den Kartensets mit ihren Träumen und Fähigkeiten.
So kann ein persönliches Profilbild aussehen Foto: Hamburger Arbeitsassistenz

Ein Körperumriss auf einer großen Papierrolle kann gut für ein Persönliches Profilbild genutzt werden. In den Körperumriss können die Stärken und Fähigkeiten, Wünsche und Träume gemalt und geschrieben werden. In Kombination mit den Kartensets können passende Karten mit Fähigkeiten, wichtigen Dingen im Leben oder Wünschen und Träumen in das Profilbild geklebt werden. So wird deutlich, was alles in der Person steckt. Das Beispiel auf dem Foto stammt aus der beruflichen Orientierung mit Jugendlichen aus dem Buch „Talente“ der Hamburger Arbeitsassistenz.

Bildungs- und Lerngeschichten

Eine Bildungs- und Lerngeschichte ist eine kleine Geschichte oder Erzählung, in der das Lernen des Kindes in einer bestimmten zuvor beobachteten Situation beschrieben wird. Eine Erzieherin beschreibt zum Beispiel, was sie beobachtet hat, als sich ein Kind ganz intensiv mit allen Dingen, die sich drehen, auseinandergesetzt hat. Bildungs- und Lerngeschichten erzählen in einer dem Kind verständlichen Form von dessen Lernanstrengungen und -erfolgen. Sie sind ein stärkenorientiertes Gegenmodell gegen Beobachtungen mit dem klassischen Defizitblick, der erfassen will, wo Entwicklungsverzögerungen vorliegen.

Der Ansatz der Bildungs- und Lerngeschichten wurde von Margaret Carr Ende der 90er-Jahre in Neuseeland entwickelt und durch das Deutsche Jugendinstitut im Rahmen eines Projektes nach Deutschland gebracht. Ziel ist es, die Lernprozesse jedes Kindes besser zu verstehen und es beim Lernen zu unterstützen.

Bildungs- und Lerngeschichten können gut Teil eines Portfolios sein.

Portfolio – ICH-Buch

Das Portfolio – auch ICH-Buch genannt – ist eine tolle personenzentrierte Methode, um das Kind zu sehen und seine Entwicklung aufzuzeigen. Ein pädagogisches Portfolio orientiert sich stets an den Stärken, den Interessen und Vorlieben des Kindes. Es stellt somit die Kompetenzen des Kindes in den Vordergrund und dokumentiert anschaulich seine Lernschritte und Lernerfolge. Es eignet sich gut zur Vorbereitung einer Persönlichen Zukunftsplanung und von dieser kann wiederum im Portfolio berichtet werden. Unter Portfolio (link) erfahren Sie mehr darüber.

Eine gute Methode, um personenzentrierte Informationen zusammenzustellen, ist auch die „Eine Seite über mich“.

Beim MAPS-Prozess geht es darum, im Unterstützungskreis die Geschichte einer Person, ihre Träume und Albträume sowie ihre Gaben zu erkunden, um dann zu sehen, was sie benötigt, um ihre Gaben in die Gemeinschaft einbringen zu können. Die Aktivitäten aus diesem Abschnitt können eine gute Vorbereitung dafür sein.

Vertiefende Literatur zum Thema

Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2007): Sieh, was ich kann! Bildungs- und Lerngeschichten in Kitas – Erfahrungen aus dem Projekt „Kind & Ko“. Gütersloh. „Sieh, was ich kann! Bildungs- und Lerngeschichten in Kitas“ (PDF, 2,74 MB, nicht barrierefrei).

Antje Borstelmann (Hrsg.) (2007): Das Portfolio-Konzept für Kita und Kindergarten. Mühlheim an der Ruhr: Verlag an der Ruhr.

Stefan Doose: „I want my dream!“ Persönliche Zukunftsplanung. Neue Perspektiven und Methoden einer personenzentrierten Planung mit Menschen mit Behinderungen. Broschüre mit Materialienteil. 9. überarbeitete Auflage Kassel: Mensch zuerst, 2011. Verfügbar über die Website „Persönliche Zukunfstplanung“.

Stefan Doose, CarolinEmrich, Susanne Göbel (2004): Käpt’n Life und seine Crew. Ein Planungsbuch zur Persönlichen Zukunftsplanung. Zeichnungen von Tanay Oral. Kassel: Netzwerk People First Deutschland.

Hamburger Arbeitsassistenz (2008): talente. Ein Angebot zur Förderung von Frauen mit Lernschwierigkeiten im Prozess beruflicher Orientierung und Qualifizierung. Theoretische Grundlagen, Projektbeschreibung, Methoden, Materialien, Filme, Begleit-DVD. Hamburg: Hamburger Arbeitsassistenz.

Hans Rudolf Leu, Katja Flämig, Yvonne Frankenstein, Sandra Koch, Irene Pack, Kornelia Schneider, Martina Schweiger (2007): Bildungs- und Lerngeschichten. Bildungsprozesse in früher Kindheit beobachten, dokumentieren und unterstützen. Weimar/Berlin: verlag das netz.

John O’Brien, Jack Pearpoint, & Lynda Kahn (2010): The PATH & MAPS Handbook. Person-Centred Ways to Build Community. Toronto: Inclusion Press.